Fotoausflug – Schloss Boitzenburg
Schloss Boitzenburg, 1276 als Burg erstmalig urkundlich erwähnt, war über viele Jahrhunderte der Stammsitz der Familie von Arnim. Die früheste schriftliche Erwähnung eines Burgherrn de Arnem war 1204. Heutzutage ist es ein Familienhotel, das der Besitzer das »Neuschwanstein des Ostens« nennt.
Als eines der größten Schlösser der brandenburgischen Uckermark wurde es zur prächtigen Außensicht des Schlosses im Märchenfilm Rapunzel, der 2009 vom RBB als Teil der ARD-Märchenfilmreihe Sechs auf einen Streich verfilmt wurde. Es war nicht das erste Mal, dass es als großartige Filmkulisse diente. Dieses entzückende Zuckerbäckerschloss wurde so oft umgebaut, dass es inzwischen die Kunstepochen der letzten 500 Jahre in charmanter Weise in sich vereint. Die prunkvolle Innenansicht gab dem Märchenfilm Rapunzel das Schloss Friedrichsfelde in Berlin.
Das Schlosshotel ist umgeben von Wasser- und Wiesenflächen eines großen Landschaftsparks mit großen alten Bäumen, den der bekannte Gartenarchitekt Peter Joseph Lenné um 1840 im englischen Stil angelegt hat. Der deutsche Kunsthistoriker Udo von Aldensleben (1897-1962) beschreibt, wie er den Adelssitz der von Arnims wahrgenommen hat:
»Den Boitzenburger Forst durchfährt man in 20 bis 30 km Länge (70.000 Morgen Gesamtbesitz). Er ist menschenleer, großzügig, ursprünglich. Prachtvolle Kiefernbestände mit Laubholz, viele Gatter und starke geweihte Hirsche. 20 Seen sollen dazu gehören. Einer nach dem anderen taucht zwischen bewaldeten Hügeln auf, vom langgestreckten Küstriner See bis zum Haussee von Boitzenburg. Hin und wieder auf den Höhen ein Dorf, das Spiegelbild unten im See. Ein im Westen unbekannter großer Rhythmus bewegt die schon herbstlich gestimmte Waldlandschaft, bevor das Boitzenburger Schloß sichtbar wird. Alte Lindenalleen kommen von allen Seiten über die Hügel heranmarschiert.« (Besuche vor dem Untergang – Adelssitze zwischen Altmark und Masuren, Tagebuchaufzeichnungen des Udo von Aldensleben)
Die wunderschönen Baumalleen durchfährt man immer noch und was die erwähnten Hirsche angeht, so fanden wir einen im Garten der Gaststätte »Zum Rasselbock« im uckermärkischen Haßleben, wo wir gutbürgerliche deutsche Küche samt Wildspezialitäten serviert bekamen, was uns mundete.
Wir stiegen den Hügel hinauf, um Schloss Boitzenburg näher in Augenschein zu nehmen, das zunächst im Besitz des Markgrafen Wilhelm von Meißen (ab 1398) und später der Adelsfamilie von Arnim (ab 1528) war.
Wer ist die schöne Frau, die links unter einem der alten Bäume sitzt? Ist das etwa Rapunzel?
Als Rapunzels Mutter mit ihr schwanger war, hatte sie einen solchen Heißhunger auf Rapunzelsalat, dass Rapunzels Vater diesen Feld-, Acker- bzw. Nüßchensalat mehrmals aus dem Garten einer Zauberin stahl. Das hatte schlimme Folgen, denn die Zauberin beanspruchte das Kind nach der Geburt für sich und gab ihm den Namen Rapunzel. Gedreht wurde der Garten mit Rapunzelbeeten bei der Klosterruine Lindow, wo wir schon in der Sache Aschenputtel unterwegs waren.
Nein, schnell merken wir: Das ist nicht die Märchenfigur Rapunzel. Es fehlt vor allem der berühmte lange Zopf aus ihren prächtigen blonden Haaren, so fein wie gesponnenes Gold. Doch die Kunstfigur scheint von der gleichen Gedankenschwere ergriffen zu sein, wie sie Rapunzel ergriffen haben muss, als sie von dem zauberkundigen Hausdrachen in einen hohen Turm gesperrt wurde.
Rechts: Wasserspeiender Drache von Schloss Boitzenburg | © Iris Sofie Bayer
Rapunzels Turm? Aber nein, ergab meine Recherche, das ist nicht der Turm aus dem Märchenfilm. Rapunzel ließ im Filmdreh ihre geflochtenen Haare vom Askanierturm am Südwestufer des Werbellinsees in der Schorfheide herunter.
Doch was wäre ein Märchen ohne den Prinzen? Auf ihn stießen wir auf der anderen Seite des Schlosses.
Der Prinz beobachtete eines Tages die Zauberin, als sie rief: »Rapunzel, Rapunzel, lass‘ mir dein Haar herunter.« Er tat es ihr nach und konnte endlich zu Rapunzel gelangen, deren schöner Gesang ihn immer wieder zum Turm hingezogen hatte. Lange konnten sie ihre Liebe nicht geheimhalten. Als die Zauberin dahinterkam, zogen dunkle Wolken für das Paar herauf.
»In ihrem Zorne packte sie die schönen Haare der Rapunzel, schlug sie ein paarmal um ihre linke Hand, griff eine Schere mit der rechten, und ritsch, ratsch waren sie abgeschnitten, und die schönen Flechten lagen auf der Erde. Und sie war so unbarmherzig, dass sie die arme Rapunzel in eine Wüstenei brachte, wo sie in großem Jammer und Elend leben musste.«
Zitiert wurde nach den »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm von 1812. Die Widmung dieser ersten Märchensammlung lautete: An die Frau Elisabeth von Arnim für den kleinen Johannes Freimund. Gemeint war Bettina von Arnim, eine bekannte deutsche Schriftstellerin, Zeichnerin und Komponistin. Sie war die Frau des ebenfalls bekannten Dichters Achim von Arnim – beide bedeutende Vertreter der deutschen Romantik. Ihre beiden Mädchen besuchten Cousinen in der Uckermark und tanzten auf Bällen im Schloss Boitzenburg. Die Brüder Grimm hatten es Bettina von Arnim zu verdanken, dass sie von König Friedrich Wilhelm IV. in die preußische Hauptstadt Berlin berufen wurden, nachdem sie in Hannover aus dem Staatsdienst entlassen worden waren.
Während der Dreharbeiten für den Märchenfilm Rapunzel im Juni 2009 verwandelten mal Sturm und Regen Drehorte in Schlammbäder, mal schwitzten die Beteiligten unter der glühenden Sonne, als sie beispielsweise im ehemaligen Braunkohletagebau Meuro in der Niederlausitz bei Senftenberg Rapunzel und den Prinzen durch die Wüstenei irren ließen. Denn auch den Prinzen traf der Sturm des Zorns.
»Der Königssohn stieg hinauf, aber er fand oben nicht seine liebste Rapunzel, sondern die Zauberin, die ihn mit bösen und giftigen Blicken ansah. ›Aha,‹ rief sie höhnisch, ›du willst die Frau Liebste holen, aber der schöne Vogel sitzt nicht mehr im Nest und singt nicht mehr, die Katze hat ihn geholt und wird dir auch noch die Augen auskratzen. Für dich ist Rapunzel verloren, du wirst sie nie wieder erblicken.‹
Der Königssohn geriet außer sich vor Schmerzen, und in der Verzweiflung sprang er den Turm herab: das Leben brachte er davon, aber die Dornen, in die er fiel, zerstachen ihm die Augen. Da irrte er blind im Walde umher, aß nichts als Wurzeln und Beeren, und tat nichts als jammern und weinen über den Verlust seiner liebsten Frau.
So wanderte er einige Jahre im Elend umher und geriet endlich in die Wüstenei, wo Rapunzel mit den Zwillingen, die sie geboren hatte, einem Knaben und Mädchen, kümmerlich lebte.« (Brüder Grimm, 1812)
Keine Zwillinge, jedoch trafen wir auf diese zwei fröhlichen jungen Angler am Küchenteich. Sie waren damit einverstanden, fotografiert zu werden, denn wir waren ganz begeistert, dass einer der beiden ein T-Shirt mit einem Rüssel-hoch-Elefanten trug.
Was sie denn mit Anglerglück zu fangen hofften, haben wir die Kinder gefragt, und eine Aufzählung der Fische erhalten, die es im Küchenteich gibt. Vor allem karpfenartige Rotfedern soll es dort zu fangen geben, wie wir schon eine im Park von Schloss Blankensee gesehen hatten. Übrigens war nicht nur Schloss Boitzenburg, sondern auch Schloss Blankensee im 19. Jahrhundert im Besitz des märkischen Uradelsgeschlechts von Arnim.
Es war der Schriftsteller Friedmund von Arnim (1815-1883), der Schloss Blankensee für die Prinzessin seines Herzens erbauen ließ. Von ihm wurden einige Märchen in die Sammlungen der Brüder Grimm aufgenommen. Das Märchen Rapunzel war allerdings nicht dabei. Dieses geht wahrscheinlich indirekt auf das Märchen Petrosinella in Basiles Märchensammlung Pentameron II,1 zurück.
Verzweifelt suchte der Märchenprinz à la von Arnim nach seiner Rapunzel. Als sie sich wiederfanden, benetzten zwei von ihren Freudentränen seine Augen und gaben ihm sein Augenlicht zurück. Sie kehrten zurück ins Reich des Prinzen und lebten auf einem prachtvollen Schloss wie Boitzenburg noch lange glücklich und vergnügt.
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