Fotoausflug – Ruhe finden am Groß Glienicker See
»Es gibt vielerlei Lärme. Aber es gibt nur eine Stille.« – Kurt Tucholsky
(Werke 1907-1935. Zwei Lärme, in: Die Weltbühne, 28.07.1925, Nr. 30)
Wir nähern uns langsam dem Jahresende und viele fühlen sich mehr denn je erschöpft und schwer. Berufstätige sind oft so aufs Durchhalten um jeden Preis ausgerichtet, dass sie schon gar nicht mehr merken, wann körperlich, seelisch und geistig Pausen nötig wären, um nicht in eine Abwärtswelle zu rutschen, die in immer größeren Energiemangel mündet. Es gehört Mut dazu, einmal bewusst zu beobachten, was einem im Alltag Kraft nimmt, und dann dafür zu sorgen, dass der eigene Akku geladen wird, bevor gar nichts mehr geht. Es ist heilsam, in einer rastlosen Zeit innerlich zur Ruhe zu kommen, Stille zu erleben.
Solche Momente des Innehaltens, des Krafttankens finden wir als Hobbyfotografen in der Stille der Natur, und ganz besonders in der Nähe von Wasser. Um den Alltagstrott zu durchbrechen, zieht es uns immer wieder in den Wald oder an einen See. Solche Naturbilder können eine Ruhe ausstrahlen, die uns innerlich aufatmen lässt.
Nachdem wir an einem Novembertag in Groß Glienicke zwei Kartons Weihnachtsbücher ausgeliefert hatten, machten wir uns auf den Weg zum Groß Glienicker See, dessen eine Hälfte zu Brandenburg und die andere zu Berlin gehört. Wir kamen an der alten Dorflinde vorbei, deren Bänke rundum in unserer Vorstellung zu einem gemütlichen Plausch an lauen Sommerabenden einluden. Gleich daneben steht die alte Dorfkirche, die als das älteste noch genutzte Gebäude Potsdams gilt und von Hans Georg III. von Ribbeck (1639-1703), dem Begründer des osthavelländischen Zweigs der Familie von Ribbeck, gestiftet wurde.
Unser Uferspaziergang führte uns zunächst an den »Außerirdischer« und »Schreihals« genannten Kunstwerken eines Skulpturenpfades vorbei. So interessant sich diese Holzkunstwerke darstellten, uns stand der Sinn eher nach Natur, nach Ruhe am See. Wir machten uns auf die Suche nach einem ersten schönen Ausblick auf den Groß Glienicker See.
Eigenartige Pilze gab es am Wegesrand zu bestaunen. Nein, das war kein Schokoladen-Pilz, sondern Hut und Lamellen lösten sich in einer tintenartigen Flüssigkeit auf, um Sporen zu verbreiten. Bei den jungen Pilzen ist der Hut eiförmig mit einer goldbraunen Kappe. Erst mit zunehmendem Alter öffnet er sich und wird allmählich glockenförmig. Der zunächst eingerollte schwarze Rand beginnt zu zerfließen – auf den folgenden Fotos ist diese Entwicklung rückwärts zu sehen.
Inzwischen waren wir schon vollkommen in die Welt des Fotografierens und die Stille der Natur eingetaucht. Es ist dieser Flowzustand, der unseren Geist in Ruhe versetzt und alles andere vergessen lässt. Wir sind dann eins mit der immer wieder neu faszinierenden Schönheit der Natur, streifen dabei Alltagssorgen oder Alltagslasten ab.
»In der vollkommenen Stille hört man die ganze Welt.« – Kurt Tucholsky
(Werke 1907-1935. Traktat über den Hund, sowie über Lerm und Geräusch,
in: Die Weltbühne, 02.08.1927, Nr. 31)
Ja, es sind die schönen Momente in der Natur, die uns glücklich machen. Damit sind wir nicht allein. Die meisten Menschen erinnern sich nach einem Urlaub besonders gern an Meer-, See- oder Gipfelblicke, vor allem bei Sonnenaufgang oder -untergang, und weniger an ihre sportlichen und sozialen Aktivitäten. Natur schenkt der Seele Energie, weil wir Menschen uns in der Stille der Natur besser wahrnehmen können. Natur ist eine Gegenwelt zu unserem Alltag, die uns Zugang zu unserer Innenwelt verschafft.
Da war er dann auch – der Blick auf den See, welcher in uns immer wieder ein Gefühl der Weite und Freiheit, der Ruhe und Entspannung erzeugt. Manchmal empfinden wir es so, als ob wir in die eigene Seele schauen, wenn wir auf die Wasserfläche eines Sees schauen. Wasser scheint eine Art Spiegel zu sein, eine Projektionsfläche, die dazu animiert, über die eigenen Gefühle nachzudenken, vielleicht auch darüber, wie sich ein stressiges Leben voll mit »vielerlei Lärmen« wieder ins Lot bringen lässt. Genieße nachfolgend mit uns herrliche Ausblicke auf den Groß Glienicker See …
(durch die Grenzziehung in einen Ost- und Westteil zerschnitten)
(am anderen Ende des Gutparks liegt das Potsdamer Tor, 1903 erbaut)
(an der Ecke Ritterfelddamm und Gutsstraße)
Im späten Mittelalter – erste Erwähnung 1375 unter Gutsbesitzer Hans von Falkenrehde – war der am Nordende des Groß Glienicker Sees errichtete Gutshof als Rittergut Groß Glienicke bekannt. Aus ihm entstand später der Ort Groß Glienicke, der zur Hälfte ein Ortsteil von Potsdam ist. Der andere Teil (Groß-Glienicke) gehört zum West-Berliner Bezirk Spandau. Auch der Ortsname Glienicke – urkundlich erstmals 1267 erwähnt – ist wie schon Glindow von dem slawischen Wort glina für Ton/Lehm abgeleitet. Gut Glienicke befand sich im Besitz verschiedener märkischer Adelsfamilien. Von 1572 bis 1788 lebte die Familie von Ribbeck auf dem Anwesen, deren mumifizierten Gebeine in 5 Epitaphien in der alten Dorfkirche von Groß Glienicke ruhen.
Das Spandauer Tor wurde allerdings erst 1867 erbaut und trägt das Wappen der letzten Gutsbesitzerfamilie von Wollank. Es stellt einen Wolfskopf im Schild dar. In der Dorfkirche ist das Familienwappen farbig abgebildet – ein schwarzer Wolfskopf und eine Krone in Rot und Weiß – die Farben von Groß Glienicke.
Auf dem Rückweg hielten wir nach einem geöffneten Wirtshaus Ausschau. Doch da hatten wir Pech – das hier war kein Wirtshaus, sondern nur ein weiteres Gebäude, an dem der Zahn der Zeit nagt.
Zum Glück hatten wir es ja nicht weit nach Hause, wo wir uns nach einem selbst zubereiteten fürstlichen Mahl wieder an unsere kreative Arbeit machten – noch ganz im Zeichen von In der Stille liegt die Kraft, wie Susan Cain es in ihrem Buch »Still« ausdrückt.
»Man muss aus der Stille kommen, um etwas Gedeihliches zu schaffen.
Nur in der Stille wächst dergleichen.« – Kurt Tucholsky
(Werke 1907-1935. Der alte Fontane, in: Die Weltbühne, 25.12.1919, Nr. 53)
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