Fotoausflug – Fontanes Havelland

»Alles, was ich geschrieben, auch die ›Wanderungen‹ mit einbegriffen, wird sich nicht weit ins nächste Jahrhundert hineinretten, aber von den ›Gedichten‹ wird manches bleiben …«

Das schrieb der deutsche Schriftsteller und Journalist Heinrich Theodor Fontane (* 30. Dezember 1819 in Neuruppin; † 20. September 1898 in Berlin) im November 1889 ganz bescheiden an seinen Berliner Verleger Wilhelm Hertz. Aus seinem fünfbändigen Werk »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«, in dem er die Markgrafensteine als »zusammengekauerte Elefanten« bezeichnete, hatte ich schon zitiert. Auch auf einen seiner letzten Romane »Der Stechlin« habe ich mich in der Erzählung über die Insel der Jugend bezogen, in dem das »Eierhäuschen« erwähnt wird, das zurzeit renoviert wird und zu Fontanes Zeiten ein beliebtes Ausflugslokal am Spreeufer war.

Bei all den Wanderungen in der Heimat – dreißig Jahre lang (zwischen 1859 und 1889) durchwanderte er die Mark Brandenburg – und den vielen Auslandsreisen, die Fontane unternahm – unter anderem nach London, Schottland, Dänemark, Österreich und Frankreich – kam Fontane zu folgendem Schluss:

Vielleicht spüren das auch die Kraniche, die jedes Jahr während ihres Vogelzuges im Frühjahr und im Herbst im Havelland rasten. Übrigens, das Symbol der Fontane-Klinik, eine psychosomatische Fachklinik in Neuruppin, sind drei Kraniche, die der Sonne entgegen fliegen. Die Klinik hat sich als Leitbild gesetzt, ihrem Namenspatron Fontane zu entsprechen – durch Aufmerksamkeit gegenüber den ihnen anvertrauten Menschen, durch Zugewandtheit und Bodenständigkeit.

Wir begannen unseren Fotoausflug an einem nebligen Oktobermorgen in der Geburtsstadt Fontanes, als sich die Menschen in Neuruppin auf dem Weg zur Arbeit und die Kirchturmspitzen der Klosterkirche St. Trinitatis noch im Dunst verloren.

Die Klosterkirche St. Trinitatis – der einzig erhaltene Teil eines ehemaligen Dominikanerklosters aus dem 13. Jahrhundert – mit dem 1906/1907 hinzugefügten neugotischen Turmpaar ist das Wahrzeichen von Neuruppin. Die Gründung des Klosters und der Bau der Kirche gehen auf Prior Wichmann von Arnstein zurück, um den sich viele Legenden ranken. So soll er über den Ruppiner See gelaufen sein. Zwischen Kirche und Ruppiner See steht die 750 Jahre alte Wichmannlinde. An dieser Stelle soll Pater Wichmann – nach einer weiteren Legende – mit einem Schatz begraben sein.

Fontane berichtete in seinem ersten Wanderungen-Band über die Klosterkirche Sankt Trinitatis von einer Zeit, als durch die eingeführte Reformation in der Mark Brandenburg auch das Klosterleben in Neuruppin beendet wurde:

»Das Innere der Kirche, trotz seiner Inschriften, ist immer noch gerade kahl genug geblieben, um sich der ›Maus und Ratte‹ zu freun, die der den Deckenanstrich ausführende Maler in gewissenhaftem Anschluß an eine halb legendäre Tradition an das Gewölbe gemalt hat. Die Tradition selbst aber ist folgende.
Wenige Tage nachdem die Kirche, 1564, dem lutherischen Gottesdienst übergeben worden war, schritten zwei befreundete Geistliche, von denen einer noch zum Kloster hielt, durch das Mittelschiff und disputierten über die Frage des Tages. ›Eher wird eine Maus eine Ratte hier über die Wölbung jagen‹, rief der Dominikaner, ›als daß diese Kirche lutherisch bleibt.‹ Dem Lutheraner wurde jede Antwort hierauf erspart; er zeigte nur an die Decke, wo sich das Wunder eben vollzog.
Unser Sandboden hat nicht allzuviel von solchen Legenden gezeitigt, und so müssen wir das Wenige werthalten, was überhaupt da ist.«

Diese schwarz aufgemalten Nagetiere sind nicht leicht zu finden. Maus und Ratte befinden sich im hinteren Teil des Kirchenschiffes hoch oben an einer der Backsteinstreben. Fontane liebte solche Geschichten, die er unterwegs aufgriff und in einem Notizbuch vermerkte. Mit Wanderstock und Notizbuch unter dem Arm ist er in seiner Geburtsstadt am Fontaneplatz als Ampelbild in der Grünphase zu sehen, in der Rotphase hebt er begrüßend seinen Hut – eine Sonderanfertigung anlässlich seines 200. Geburtstags vom Künstler Max-Otto Stove im Auftrag der Stadt Neuruppin.

Berühmt wurde Fontane nicht nur wegen seiner Schilderungen heimatlicher Wanderungen, sondern insbesondere wegen seiner über 200 Gedichte. Er gilt als ein bedeutender Vertreter des poetischen Realismus, eine Literaturströmung des 19. Jahrhunderts. Für Fontane war Realismus allerdings nicht »das nackte Wiedergeben alltäglichen Lebens, am wenigsten seines Elends und seiner Schattenseiten«, sondern er definierte den Realismus als »Widerspiegelung alles wirklichen Lebens, aller wahren Kräfte und Interessen im Elemente der Kunst«.

So schrieb er beispielsweise als Vorwort seines dritten Wanderungen-Band ein Gedicht über das Havelland, ein Gebiet zwischen Oranienburg im Nordosten und Rhinow im Nordwesten, das U-förmig von der Havel umflossenen wird:

Grüß Gott dich, Heimath! … Nach langem Säumen
In Deinem Schatten wieder zu träumen,
Erfüllt in dieser Maienlust
Eine tiefe Sehnsucht mir die Brust.
Ade nun, Bilder der letzten Jahre,
Ihr Ufer der Somme, der Seine, Loire,
Nach Krieges- und fremder Wässer Lauf,
Nimm, heimische Havel, mich wieder auf.

[…]

Grüß Gott dich Tag, du Preußenwiege,
Geburtstag und Ahnherr unsrer Siege,
Und Gruß dir, wo die Wiege stand,
Geliebte Heimat, Havelland!

Fontane wurde am 30. Dezember 1819 in Neuruppin als Sohn eines Apothekers geboren und lebte dort bis zu seinem siebten Lebensjahr. Dann musste der Vater wegen seiner Spielschulden die Apotheke verkaufen. Heutzutage findet sich im Erdgeschoss des Fontane-Geburtshauses in der Karl-Marx-Straße 84 immer noch eine Apotheke.

Fontanes Taufkirche, jetzt Kulturkirche, war an unserem Ausflugstag bestuhlt für die Immatrikulationsfeier der neuen Studenten der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane.

Ins Alte Gymnasium, das auch der ebenfalls in Neuruppin gebürtige Baumeister Karl Friedrich Schinkel besuchte, ging Fontane nur ein Jahr. Heute befinden sich hier die Kreismusikschule, die Jugendkunstschule, die Stadtbibliothek, die Theodor Fontane Gesellschaft e.V. und die Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB), Deutschlands jüngste Bildungseinrichtung für zukünftige Ärzt/innen und Psycholog/innen.

Wie es damals üblich war, lernte Fontane das gleiche Handwerk wie sein Vater. Er machte eine Ausbildung zum Apotheker, und zwar in der Berliner Apotheke »Zum Weißen Schwan« bei Wilhelm Rose. Über diesen schrieb Fontane später in seiner Autobiografie, Rose sei »dankbarer Stoff für eine Charakterstudie« eines arroganten und geizigen Schnösels gewesen, der »glaubte, mit der längsten Elle gemessen werden zu können, doch schon bei gewöhnlicher Zollmessungen zu kurz gekommen wäre.« Tatsächlich nahm er Rose als Vorlage für den Herrn von Gundermann in seinem Roman Der Stechlin. Nachdem er bereits 1849 den Entschluss gefasst hatte, den Apothekerberuf aufzugeben und als freier Schriftsteller zu leben, konnte er diesen aus familiären Gründen – er hatte eine Frau und sechs Kinder zu versorgen – erst ab 1876 umsetzen.

Das berühmteste Gedicht Fontanes ist die Ballade »Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland« (1889), das auf einem Gedicht der Hertha von Witzleben beruht, einer Enkelin des Karl Friedrich Ernst von Ribbeck. Es wurde 14 Jahre vor Fontanes Gedicht verfasst, anlässlich der 500-Jahrfeier der Familie von Ribbeck. Herthas Großvater hatte ihr als Kind die Sage vom Birnbaum oft erzählt. Ich stelle die beiden Gedicht-Versionen ans Ende dieses Beitrages – für alle, die tieferes Interesse haben.

Bei dem Gutsherrn, um den es in diesen Gedichten ging, handelte es sich um Hans Georg von Ribbeck (* 31. Januar 1689; † 6. Juni 1759) aus der westhavelländischen Linie des Adelgeschlechts von Ribbeck in dem Ort Ribbeck. Er lebte in einem Vorgänger-Bau des heutigen Schlosses Ribbeck.

Die kleinen Kreuze zeugen von den Folgen der Diphtherie, die Werner, Margarete und Ernestine dahinrafften. Alle sind Kinder des Hans Georg Henning von Ribbeck und seiner Ehefrau, deren Grabstein im Zentrum des Friedhofs steht. Die Kinder sind auch alle Geschwister des letzten Herrn auf Ribbeck, Hans Georg Karl Anton von Ribbeck. Er kam – wie ein Granitgedenkstein ausweist – 1945 als NS-Gegner (Feind des Volkes) im KZ Sachsenhausen ums Leben.

Direkt am Schloss Ribbeck befindet sich der Deutsche Birnengarten. Jedes der 16 deutschen Bundesländer hat einen Birnbaum gestiftet, die zwischen September 2008 und November 2009 gepflanzt wurden, um an die Wiedervereinigung Deutschlands zu erinnern. Einige Bäume trugen dieses Jahr prächtige Birnen.

Während sich drei Grazien im Deutschen Birnengarten sonnten, begaben wir uns auf die Suche nach dem legendären Birnbaum, der gemäß dem Pomologen Dr. Artur Steinhauser Birnen der alten Sorte Römische Schmalzbirne trug, die auch Melanchthonbirne genannt wird. Doch dieser alte Birnbaum fiel leider 1911 einem Sturm zum Opfer. Zuerst dachten wir, der Baumstumpf auf der Wiese vor der Dorfkirche sei von diesem alten Birnbaum, doch dieser wird in der Dorfkirche von Ribbeck aufbewahrt. Aber genau an der Stelle, wo Fontanes Birnbaum stand, gedeiht jetzt ein jungen Birnbaum von eben jener alten Sorte, von denen sich die Kinder damals mehrere davon auf einmal in die Hosentasche stecken konnten. Die kleinen Früchte schmecken süß und haben eine leuchtend gelb-rote Farbe.

Neben dem Birnbaum lädt eine Bank mit einem Fontane-Spruch zum Verweilen ein: »Zeit ist Balsam und Friedensstifter.« Nehmen Sie sich daher Zeit, setzen Sie sich zu mir auf die Bank und lassen sie beim folgenden Gedicht Frieden in sich einkehren. Herr von Ribbeck auf Ribbeck …

Überlass es der Zeit

Erscheint dir etwas unerhört,
bist du tiefsten Herzens empört,
bäume nicht auf, versuch’s nicht mit Streit,
berühr es nicht, überlaß es der Zeit.

Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,
am zweiten läßt du dein Schweigen schon gelten,
am dritten hast du’s überwunden;
alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.

Wir besichtigten in Ribbeck noch ein altes Klassenzimmer in der alten Dorfschule von Ribbeck mit alten Schulbänken, Schulmappen, Fibeln und Schiefertafeln. Nach erteilter Erlaubnis durch die königlich preußische Regierung in Potsdam hatte der Herr von Ribbeck auf eigene Kosten diese Dorfschule 1841 bauen dürfen. Bis 1968 sind Kinder aus dem Dorf Ribbeck dort zur Schule gegangen.

Von Zeit zu Zeit finden Ortsführungen des Marion-Etten-Theaters statt. Dabei können Besucher mit dem alten Fontane und den anderen Marionetten wie dem Lehrerehepaar, die den historischen Personen aufs Haar gleichen und ca. 80 cm groß sind, das Herrenhaus, die Brennerei und die Kirche mit dem Birnbaum besuchen.

Hinter dem Theater beginnt der Pfarrgarten. Dort stießen wir auf einen Birnbaum ganz besonderer Art. Die aus Ton gebrannten, namentlich gravierten Birnen spiegeln das kirchliche Leben in Ribbeck wider. Der Lebensbaum mit seinen Früchten symbolisiert Menschen, die in Ribbeck getauft, konfirmiert, getraut wurden oder den Segen zu ihrem Hochzeitsjubiläum erhielten. So steht die grüne Birne für die Taufe, die weiße Birne für die Konfirmation, die gelbe Birne für die Trauung, die silberne Birne für die Silberne Hochzeit und die kupferne Birne für die goldene Hochzeit.

Zum Schluss probierten wir noch saftige Birnen aus Ribbeck, die vor einem Haus zum Verkauf angeboten wurden. Die Birnen schmeckten so gut, dass es keine einzige bis nach Hause geschafft hat.

Das Birnbaumgedicht
(Nachfahrin der von Ribbecks 1875)
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland (Fontane 1889)
Zu Ribbeck an der Kirche ein alter Birnbaum steht,
der mit üpp’gen Zweigen der Kirche Dach umweht.
Von hohem Alter zeuget der Stamm, so mächtig stark,
wächst schier aus dem Gemäuer wie aus der Kirche Mark.
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste ’ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er:
»Lütt Dirn, Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn.«
Von diesem alten Birnbaum geht eine Sage hier,
sie war als Kind zu hören stets eine Wonne mir:
Ein alter Ribbeck, heißt es, war den Kindern hold gesinnt,
wohl hundertmal beschenkt er im Dorfe jedes Kind.
So ging es viel Jahre,
bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

In allen Kleidertaschen er Birnen, Äpfel hat,
gab stets mit beiden Händen, gab gern, genug und satt.
Und als er kam zu sterben, man in den Sarg ihn legt,
denkt nicht an seine Taschen, darin er Birnen trägt.
Er fühlte sein Ende. ’s war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck:
»Ich scheide nun ab. Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen ›Jesus meine Zuversicht‹,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?«
Und in dem nächsten Frühjahr wächst aus der Wand am Tor,
sproßt aus dem Erbbeghräbnis ein Bäumlein grün hervor.
Der Alte, der im Leben die Kinder so geliebt,
nun noch in seinem Sarge den Kindern Freude gibt.
So klagten die Kinder.
Das war nicht recht –
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn‘ ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus. 
Im Herbst viel kleine Birnen der Baum streut auf den Sand,
und heut noch greift mit Jubel danach der Kinder Hand.
Die Abendschatten sanken hernieder allgemach,
da ward in meiner Seele die alte Sage wach.
Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet’s wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung‘ übern Kirchhof her,
So flüstert’s im Baume: »Wiste ’ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert’s:
»Lütt Dirn, Kumm man röwer, ick gew‘ di ’ne Birn.«
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

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