Fotoausflug – In den Glindower Alpen

Die Herbstsonne lockt uns nach draußen. Der Berg ruft – wie man so schön sagt. In unserem Fall locken die Glindower Alpen – ein Naturschutzgebiet mit urtümlicher hügeliger Waldlandschaft, die durch alte Tongruben geformt wurde.

Schon die vielen herbstlichen Baumalleen, die wir bis dorthin durchfahren, sind bereits ein goldener Genuss. Als wir uns dem Ziel nähern, nehmen wir die Alpenstraße – sie heißt tatsächlich so – und parken am Märkischen Ziegeleimuseum in Glindow, einem Ortsteil von Werder (Havel). Diese Gegend ist vor allem durch ihren Obstbau geprägt und für ihren leckeren Obstwein bekannt, den wir beim jährlich stattfindenden Baumblütenfest schon öfters gekostet haben. Nun erfahren wir, dass die Gegend auch Ziegeleigeschichte schrieb.

Glindow wird erstmals 1238 urkundlich erwähnt. Sein damaliger alt-slawischer Ortsname Glina bedeutet Lehm bzw. Ton. Zisterzienzermönche brannten nachweislich ab 1458 die ersten Ziegel in Glindow. Unter der Leitung ihres Klosters Lehnin wurde Glindow zum Zentrum der märkischen Ziegelherstellung. Aus dem seltenen gelbfarbenen Glindower Ton mit seinen Farbvariationen ins Grünliche, Bläuliche, Graue und Rosé entstanden die für die Mark Brandenburg typischen Ziegelsteine, aus denen nicht nur das Kloster Lehnin gebaut wurde, sondern viele Häuser in fast allen an Wasserwegen gelegenen Städten Brandenburgs, einschließlich Potsdam.

Der Handel mit Ziegeln gedieh. Um die 20 Ziegeleien gab es in Glindow, die in Spitzenzeiten täglich bis zu 600 000 Ziegelsteine produzierten. Vom 20 Meter hohen gelben Ziegeleiturm, der um 1890 und wahrscheinlich zu Werbezwecken gebaut wurde, konnten die nahenden Transportkähne gut erspäht werden. Er dient inzwischen als Museum, in dem die regionale Geschichte des Tonabbaus und der Ziegelproduktion dokumentiert wird.

Die Glindower Alpen entstanden im 19. Jahrhundert, weil damals hart arbeitende Tongräber ohne technische Hilfsmittel Schubkarre für Schubkarre den Abraum – die durchschnittlich 15, teilweise sogar bis zu 30 Meter dicken Sand- und Lehmschichten, unter denen der Ton lag – abtransportiert und abgeschüttet haben, bevor sie den Ton mit einem Spaten abstechen konnten. Die Weltwirtschaftskrise (1929 – 1933) beendete die regionale Ziegelproduktion. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde wieder produziert, und zwar zu DDR-Zeiten hauptsächlich Blumentöpfe, ab 1990 wurden wieder handgestrichene Ziegelsteine hergestellt – für die Restauration bzw. Erhaltung von denkmalgeschützten Gebäuden, die in Backstein errichtet wurden – nach dem Motto »ein Denkmal produziert für Denkmale«.

Glindow ist heutzutage eher wegen der Glina Whisky Destillerie bekannt. Die goldene Farbe dieses edlen Getränks malt auch der Herbst in diesen Tagen mit seinem Pinsel in die bewaldete Landschaft der Glindower Alpen.

Das raschelnde Laub unter unseren Füßen zieht es uns zunächst an den Glindower See, der über eine künstliche Wasserstraße mit der Havel verbunden ist. Wegen der unmittelbaren Lage Glindows am See konnten die Ziegelsteine früher direkt auf große Kähne verladen und auf diese Weise kostengünstig in große Städte transportiert werden. Allein nach Berlin sollen von Glindow aus schätzungsweise 22 Billionen Ziegelsteine geliefert worden sein. Kein Wunder, dass der Sprung ging: »Berlin ist aus dem Kahn gebaut.«

Wir genießen die Aussicht auf die andere Seite des Ufers – goldene Herbstfarben in schönem Kontrast zum kühlen Blau des Wassers. Zu Fontanes Zeit sollen um die 50 rauchende Schornsteine der Ziegelei-Brennöfen dicht an dicht am Ufer des Glindower Sees zu sehen gewesen sein, die Fontane als »trübseligen Anblick« bezeichnete.

Bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg schrieb er 1873 über Glindow: »Was Werder für den Obst-Konsum der Hauptstadt ist, das ist Glindow für den Ziegel-Konsum. In Werder wird gegraben, gepflanzt, gepflückt, – in Glindow wird gegraben, geformt, gebrannt; an dem einen Ort eine wachsende Kultur, am andern eine wachsende Industrie, an beiden (in Glindow freilich auch mit dem Revers der Medaille) ein wachsender Wohlstand.«

Vor unserem Aufstieg in die Glindower Alpen, machen wir erst noch einen kleinen Abstecher zum Haussee. Er liegt auf der Gemarkung von Petzow, einem weiteren Ortsteil der Stadt Werder (Havel). Es lohnt sich. Diesen kleinen See und sein Ufer hat der Herbst mit seinem Pinsel besonders prächtig bemalt. Überall liegen vom Wind durcheinandergewirbelte goldgelbe Blätter.

Jetzt aber himmelwärts – ein Pfeil zeigt uns die Richtung der Glindower Alpen an, die sich zwischen Glindow und Petzow auf einer Fläche von etwa 120 Hektar erstrecken. Nachdem die Abraumhalden und die langgestreckten Rinnen der Tonabbaugruben sich selbst überlassen wurden, entstand die typisch hügelige Landschaft, die Erdeberge genannt wurde.

Es gibt verschiedene Geschichten, wie es zu dem Namen Glindower Alpen gekommen ist. Am wahrscheinlichsten klingt, dass es ein findiger Gastwirt war, der Anfang des 20. Jahrhunderts auch sein Restaurant »Gaststätte Glindower Alpen« nannte. Wir kommen an hübschen kleinen Ferienhäusern vorbei, die dazu einladen, in dieser herrlichen Landschaft Urlaub zu machen. Auch Ruderboote liegen für einen kleinen Ausflug auf dem Glindower See bereit.

Kleine Tümpel, grün vor lauter Teichlinsen, säumen unseren Weg. Wir durchwandern den sich selbst überlassenen Mischwald mit seinen Moosen und Farnen, durchqueren eine trockene Offenfläche auf sandiger Anhöhe und passieren danach eine landwirtschaftlich genutzte Fläche. In der Ferne sieht man eine von Werders berühmten Obstplantagen.

Nach einer sandigen Strecke mit Kiefernwald steigen wir auf schmalen Holztreppen entlang einer bis zu 40 Meter tiefen Schlucht wieder ins Tal hinab.

Oliver fotografiert den Hexenpuhl. In Schwerstarbeit wurde der Ton hier früher mit dem Spaten abgestochen und dann in von Pferden gezogenen Loren (Schienentransportwagen) zur Weiterverarbeitung in die Ziegeleien gebracht. Hinter dem Ziegeleigelände gibt es noch ein paar Schienen der alten Lorenbahn, deren Gleise früher bis zum Hexenpuhl reichten. Die Bäume über uns ächzen, knarren und schwanken. Wir machen, dass wir schnell weiterkommen. Seit der letzte Herbststurm uns eine Weide quer über unseren Garten gestürzt hat, sind wir vorsichtig. Wer weiß, was im Wald noch so alles umstürzt. Das Totholz wird hier nicht geräumt. Es bietet Lebensraum für viele Klein- und Kleinstlebewesen.

Auf einmal sehen wir am Wegesrand eine uralte imposante Linde mit verwachsenen Stämmen und Ästen – ein verwunschener Platz, der uns sofort in seinen Bann zieht und fotografisch herausfordert.

Durchs raschelnde Herbstlaub und von den Strahlen der langsam untergehenden Sonne begleitet, suchen wir den Weg zurück zu unserem Parkplatz. Ein freundlicher Einheimischer, der mit seinem Hund unterwegs ist, zeigt uns eine Abkürzung. Über unserem Rüssel-hoch-Auto ragt ein einsamer Schornstein der einst so betriebsamen Ziegelei empor. Er ist das Herzstück eines originalgetreu erhaltenen, kreisrunden Hoffmannschen Ringofens aus dem Jahr 1868.

Noch werden hier handgefertigte Ziegel hergestellt, vor allem für die Rekonstruktion von Denkmalen. Doch wie der Tagesspiegel vom 11.05.2021 berichtete steht die Neue Ziegel-Manufaktur Glindow kurz vor dem Aus. Durch die Coronakrise haben sich die Umsätze halbiert. Ein Großauftrag ist geplatzt. Von den etwa 20 Personen, die hier eine Arbeitsstelle gefunden hatten, musste bereits die Hälfte gehen.

Wie schade, dass auch diese alte Handwerkskunst in Vergessenheit geraten wird, von der Fontane schrieb: »Auch in Glindow und seinen Dependenzien wird ein vorzüglicher Stein gebrannt. […] Die berühmtesten Steine, die hier zu Lande gebrannt werden, sind die ›roten Rathenower‹ und die ›gelben Birkenwerderschen‹. Aber was ihnen ihre Vorzüglichkeit leiht, ist nicht das Material, sondern die Sorglichkeit, die Kunst, mit der sie hergestellt werden. Jedem einzelnen Stein wird eine gewisse Liebe zugewandt. Das macht’s.«

Bald wird der historische Hoffmannsche Ringofen in Glindow, mit dem Ziegelsteine unter fast originalen Bedingungen wie vor über 100 Jahren hergestellt werden können, stillgelegt werden müssen. Nur die einzigartige Landschaft der Glindower Alpen bleibt uns als Naturschutzgebiet erhalten – hoffentlich!

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