Buchvorstellung – »Wenn das Gehirn älter wird«
In seinem 240-seitigen Sachbuch Wenn das Gehirn älter wird: Was uns ängstigt – Was wir wissen – Was wir tun können, Verlag C. H. Beck, München 2013, informiert der Neuropsychologe und international renommierte Hirnforscher André Aleman leicht verständlich über die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns beim Älterwerden.
Was wir wissen
Einerseits fand ich es erschreckend, dass gemäß wissenschaftlichen Studien der Gedächtnisabbau unwiderruflich bereits mit etwa 20 Jahren beginnt und zwischen 60 und 70 die Gedächtnisleistung besonders steil abfällt. Dieser steile Abwärtstrend setzt sich beim Älterwerden sukzessive fort, wobei die kognitiven Beeinträchtigungen vor allem auf eine Verringerung des mentalen Tempos zurückführen sind. Ältere Menschen, deren Denkgeschwindigkeit noch recht hoch sei, seien länger dazu in der Lage, selbstständig zu wohnen.
Andererseits hat mir sehr gefallen, dass André Aleman hervorhob, dass sich Menschen im Alter von 60 oder mehr Jahren glücklicher fühlen als zwischen 20 und 40. Ihre Gemütslage sei ausgeglichener und sie seien stressresistenter als Jüngere. Sie gingen besser mit schwierigen Situationen um, beispielsweise im zwischenmenschlichen Bereich, weil sie negative Gefühle stärker relativieren könnten und im Umgang mit Emotionen geübter seien. Sie könnten auf ein größeres gespeichertes Wissen zurückgreifen und besser Probleme lösen, da bei ihnen beide Hirnhälften besser zusammenarbeiten würden.
Lachen musste ich, als ich las, dass wir unsere größere Weisheit im Alter gerade dem Nachlassen unserer geistigen Fähigkeiten zu verdanken haben. Denn gerade weil unser Gehirn mit der Zeit langsamer arbeitet, würden wir vernünftiger reagieren. Und es gibt noch eine positive Nachricht aus der Hirnforschung: Funktionen wie Wortschatz, Lesekompetenz und Weltkenntnis verschlechtern sich beim Älterwerden nicht.
Was uns ängstigt
Trotzdem kommt bei jedem Menschen der Moment, in dem einem selbst oder anderen bewusst wird, dass die eigenen kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis, Konzentration und Denkgeschwindigkeit stärker als gewöhnlich nachgelassen haben. Viele Menschen, vor allem, wenn sie die 60 hinter sich gelassen haben, stellen sich die Frage: Wo liegt die Grenze zwischen altersbedingter Vergesslichkeit und beginnender Demenz?
Folgende Symptome können auf eine »leichte kognitive Beeinträchtigung« hinweisen:
- Man vergisst Dinge häufiger als normal.
- Man vergisst regelmäßig wichtige Termine wie Verabredungen, Geburtstage und Einladungen.
- Man verliert regelmäßig bei einem Gespräch, beim Lesen eines Buchs oder beim Anschauen eines Films den roten Faden.
- Man fühlt sich immer öfter nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen oder Schritte zu planen, die notwendig sind, um bestimmte Aufgaben zu erledigen.
- Es fällt zunehmend schwerer, sich in einer bekannten Umgebung zu orientieren.
- Man reagiert impulsiver, gereizter und aggressiver und kann manche Situationen weniger gut einschätzen.
- Man leidet unter depressiven Verstimmungen, Ängstlichkeit oder Apathie.
- Diese Veränderungen fallen auch der Familie oder Freunden auf.
Das muss nicht gleich bedeuten, dass man an einer Demenz erkrankt ist, jedoch eine neuropsychologische Untersuchung und Maßnahmen zur Verbesserung der Hirnfunktionen ratsam sind.
Berliner Forscher ließen zwei Gruppen, die eine mit, die andere ohne Gedächtnisprobleme, eine Gedächtnisaufgabe lösen, während sie im Scanner lagen, und maßen dabei deren Gehirnaktivität. Es zeigte sich, dass das Gedächtniszentrum des Gehirns, der Hippocampus, bei den Menschen mit Gedächtnisproblemen weniger aktiv war, jedoch gleichzeitig eine höhere Aktivität in den vorderen Gehirnregionen, dem frontalen Cortex, zu verzeichnen war. Dies bedeutet, dass unser Gehirn selbsttätig versucht, die schlechtere Funktionsfähigkeit des Gedächtniszentrums Hippocampus auszugleichen. Der präfrontale Cortex kann dabei als der Dirigent unseres Gehirns betrachtet werden, während die übrigen Hirnregionen das Orchester bilden. Doch was können wir selbst tun, um das eigene Gehirn bei der Kompensation von altersbedingten Beeinträchtigungen zu unterstützen? Wie bleiben wir jung im Kopf?
Was wir tun können
Auf jeden Fall ist es gut zu wissen, dass das Gedächtnis durch ständiges Üben leistungsfähiger bleibt. Eine der besten Möglichkeiten, das Gehirn fit zu halten, ist das Lesen von Büchern; noch besser wäre es, einen Lesezirkel zu organisieren, um dabei auch sozial aktiv zu bleiben. Besonders gut wirkt sich das Erlernen von vielseitigen und komplexen Fertigkeiten aus, zum Beispiel das Erlernen einer neuen Sprache oder das Spielen eines Musikinstruments.
So zeigte eine Studie unter Beteiligung von 70 gesunden Senioren zwischen 60 und 83 Jahren mit unterschiedlicher musikalischer Erfahrung, dass diejenigen, die regelmäßig ein Instrument spielten, bei verschiedenen neuropsychologischen Tests bessere Ergebnisse erzielten.
Ein anderer Vorschlag für ein realitätsnahes Training – die Teilnahme an einem Kurs für Vogelobservation. Die Vorteile:
- Man trainiert dabei das Gedächtnis, sich die verschiedenen Namen und das unterschiedliche Aussehen von Vögeln zu merken.
- Man ist zudem sozial aktiv, da man etwas in einer Gruppe unternimmt.
- Zusatzeffekt: Die körperliche Bewegung in der freien Natur ist nachgewiesen ein gutes Mittel zur Erhaltung unserer Geisteskräfte.
Bei einer Studie mit 120 Teilnehmern mit einem Durchschnittsalter von 67 Jahren verglich man MRT-Scans nach Ablauf eines Jahres miteinander. Es stellte sich heraus, dass sich der Hippocampus bei der sich intensiv bewegenden Gruppe um zwei Prozent vergrößert hatte, während er bei der anderen Gruppe altersgemäß um 1,5 Prozent geschrumpft war.
Zum Schluss streift Neuropsychologe André Aleman noch den Fünf-Punkte-Plan der weltbekannten Hirnforscherin Marian Diamond, die unter anderem das Gehirn von Albert Einstein seziert hat. Sie empfiehlt folgende fünf Punkte, um beim Älterwerden die Leistungsfähigkeit des Gehirns zu erhalten:
- Ernährung (neben einem gesunden Omega-3- und Vitamin-B12-Spiegel u. a. Mäßigung: nicht zu viel zu essen fördert die Wirkung des Transkriptionsfaktors CREB1, ein Protein, das im Gehirn beim Lernen und Erinnern von Bedeutung ist)
- Bewegung (fördert die Sauerstoffversorgung des Gehirns und körpereigene Wachstumsfaktoren, die sich positiv auf Gehirnzellen auswirken)
- Herausforderungen (Aktivitäten, die Anstrengung, Intelligenz oder Kreativität erfordern)
- Offenheit für Neues (neue Anreize suchen: beispielsweise etwas anderes zu lesen als üblich oder neue Ort aufzusuchen bzw. neue Menschen kennenzulernen)
- Liebe (soziale Kontakte, familiäre und freundschaftliche Bindungen)
Mich hat das Buch auf jeden Fall darin bestärkt, weiterhin sowohl körperlich aktiv zu sein als auch aktiv etwas für meine kognitive Weiterentwicklung zu tun, um mir – gewissermaßen mit dem Aufbau einer Reservekapazität – auch im Alter noch einen scharfen Verstand zu bewahren.
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