Buchvorstellung – »Der weiße Knochen«

Cover fürs Buch »Der weiße Knochen«

»Mit außerordentlicher Empathie erschafft Barbara Gowdy in diesem Roman, der vollkommen aus der Perspektive afrikanischer Elefanten erzählt ist, eine ganz eigene Welt – in der sich die unsere auf seltsame Weise spiegelt.«

Worum geht es in dem 320-seitigen Roman der kanadischen Schriftstellerin Barbara Gowdy Der weiße Knochen, Unionsverlag, Zürich 2013? Im Klappentext heißt es weiter:

»Jahrelang sind die junge Elefantenkuh Matsch und ihre Familie in den Sümpfen und Savannen Ostafrikas umhergestreift. Jetzt wird das Gebiet von einer Dürre heimgesucht, und ganze Familien fallen den Elfenbeinjägern zum Opfer. Auf nichts – nicht auf das einst vertraute Terrain, nicht auf die uralten Rhythmen des Lebens – ist mehr Verlass. Doch eine Hoffnung gibt es noch: An den Wasserlöchern wird die Legende vom weißen Knochen erzählt, der die Elefanten zu einem sicheren Ort weisen wird. Und so machen sie sich auf die Suche.«

Um die langen Wanderungen der Elefanten nachvollziehen zu können, wurde eine Karte gezeichnet und abgedruckt sowie Stammbaumzeichnungen der zentralen Elefantenfamilien (zum Beispiel der Sie-Schs, Matschs Adoptivfamilie). Mit dem Wissen, dass Elefanten eine Sozialstruktur haben, die der menschlichen ähnelt, und dass sich Elefanten Eigennamen geben, fiel es mir leichter, mich in die Perspektive der Elefanten hineinzuversetzen. Dennoch dürfte der Erzählstil für viele dann doch zu »vermenschlichend« sein. Laut Klappentext ist dies von der Autorin beabsichtigt, um uns Menschen – sozusagen auf literarische Weise – den Spiegel vorhalten zu können.

Barbara Gowdy ist dafür bekannt, dass sie einen bewussten Blick auf das Extreme, Fremde und Abnormale wirft. Ihr Roman Der weiße Knochen ist definitiv nichts für sensible Menschen, da er die Hauptprobleme der Elefanten schonungslos brutal schildert: Elfenbeinwilderei, durch menschliche Besiedelung schrumpfender Lebensraum sowie die extremen Auswirkungen und drastischen Folgen des vom Menschen hervorgerufenen Klimawandels, insbesondere die durch die Treibhausgase häufigeren und ausgedehnteren Dürreperioden. Alle diese Probleme sind von Menschen (im Roman »Hinterbeiner« genannt) verursacht, hinter denen nach Ansicht des Autoren Michael Nehls Das erschöpfte Gehirn steckt.

Am Anfang des Buches ist ein Wörterbuch der Elefantensprache. Nachfolgend ein paar Wortbeispiele:
Die Sie Erster Elefant und Mutter aller Elefanten
Die Siejenigen Männliche oder weibliche Elefanten (vergleichbar mit Menschheit)
Domäne Die Erde

Erder Infraschallruf
Rüssel Tiefsinnigkeit
Schmausbaum Schirmakazie (Rinde, Knospen und Blüten sind essbar und schmecken köstlich)
Schnellläufer Gepard
Stich Gewehrkugel
Zuckstock Schlange

Mit diesen Erklärungen im Sinn versteht man zum Beispiel auch die nachfolgend zitierte Passage, in der offenbar wird, was mit dem legendären weißen Knochen gemeint ist, dem die Elefanten die Macht zusprechen, ihnen den Weg zu einem immergrünen, friedlichen Ort zu weisen:

»Es war die Finsternis … die Finsternis, die sich der Gedanken der Menschen bemächtigt hatte und ihren bereits verkommenen Geist noch verkommener machte. Schon bald schlachteten sie ganze Familien ab. Nachdem sie das Fleisch ihrer Opfer verschlungen hatten, verbrannten sie die Häute und zermalmten die Knochen und Stoßzähne. Offenbar stand ihnen der Sinn nach Vernichtung, und die überlebenden Siejenigen flohen an den Rand der Domäne und kamen gar nicht mehr auf die Idee, zurückzukehren, um ihre Angehörigen zu beweinen, denn sie glaubten, dass keine Spuren der Toten übrig geblieben seien.
Sie irrten sich. Inmitten des Kreises aus Felsblöcken lag noch die Rippe eines Neugeborenen. Keiner der Menschen, die an den Felsblöcken vorbeikamen, sah sie je, obwohl sie im Laufe der Jahre ausblich und eine leuchtend weiße Farbe annahm. Den meisten Lebewesen gab sie eine Gefühl von Vergebung und Hoffnung. Aber die Herzen der Menschen waren hart und ließen sich nicht erweichen. Nicht in jener Zeit.«

Der weiße Knochen ist zweifellos kein Wohlfühlroman, den man genießt, sondern eine radikal ehrlich erzählte Geschichte des Untergangs und eher pessimistischen Elefantengedanken wie: »Aber wer will noch beurteilen, was Glück ist?« oder »Was spielt das schon für eine Rolle? Früher oder später vergisst man sowieso alles. Mit einer Ausnahme […] Man kann nicht vergessen, wer man ist.« Der Inhalt dieses Romans rüttelt wach.

Mich hat er dazu angeregt, in diesem Jahr nicht nur auf den Weltelefantentag 2024 hinzuweisen, sondern gleichzeitig auch auf den Welt-Erschöpfungstag, denn: Elefantenschutz ist auch Klimaschutz.

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