Buchvorstellung – »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«

Cover fürs Buch »Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand«

Zumindest den Titel dieses aberwitzigen Weltbestsellers hat fast jeder schon einmal gehört, und das Elefantenkopf-Cover vergisst man auch nicht so schnell. Allein in Deutschland hat sich die 2009 beim schwedischen Verlag Piratförlaget veröffentlichte »Räuberpistole« – so nennt der Autor seine 432-seitige Romangeschichte an einer Stelle selbst – bereits über vier Millionen Mal verkauft. Sie wurde verfilmt und eine Fortsetzung der verrückten Geschichte mit dem Titel »Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten« gibt es inzwischen auch.

Der schwedische Autor Jonas Jonasson, geboren 1961, arbeitete zunächst als Journalist und hatte später eine eigene Medien-Consulting-Firma. Nach 20 Jahren verkaufte er seine Firma und schrieb den berühmten Schelmenroman über den Schweden Allan Karlsson, der an seinem 100. Geburtstag keine Lust auf Presserummel hat, aus dem Fenster steigt und verschwindet. Hier eine kleine Leseprobe aus Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand, Penguin Random House Verlagsgruppe, München 2011:

»Allan überlegte, ob er sich die Mühe machen sollte, noch einmal durchs Fenster in sein Zimmer zurückzuklettern, um Hut und Schuhe zu holen, aber als er feststellte, dass immerhin die Brieftasche in der Innentasche seines Jacketts steckte, ließ er es dabei bewenden. Außerdem hatte Schwester Alice schon mehrfach bewiesen, dass sie einen siebten Sinn besaß (egal, wo er seinen Schnaps versteckte, sie fand ihn grundsätzlich), und vielleicht lief sie ja gerade durch den Flur und witterte, dass hier etwas faul war. Lieber abhauen, solange noch Zeit ist, dachte Allan und kletterte mit knacksenden Kniegelenken aus der Rabatte. Soweit er sich erinnern konnte, steckten in seiner Brieftasche ein paar Hunderter, die er sich zusammengespart hatte, und das war auch ganz gut so, denn kostenlos würde er sich sicher nicht verstecken können. Also wandte er noch einmal den Kopf und warf einen Blick auf das Altersheim, von dem er bis vor Kurzem noch geglaubt hatte, dass er bis zu seinem Lebensende darin wohnen würde. Und dann sagte er sich, dass er ja auch ein andermal und anderswo sterben konnte. Der Hundertjährige schlich sich also davon mit seinen Pisspantoffeln (die so heißen, weil Männer in hohem Alter selten weiter als bis zu ihren Schuhspitzen pissen können).«

Auf der Flucht stiehlt Allan Karlsson – der Name ist wahrscheinlich eine Reminiszenz an die Romanfigur »Karlsson vom Dach« der Schwedin Astrid Lindgren – den Multi-Millionen-Koffer einer Gruppe Krimineller, die mit Drogen handeln, so dass er nun nicht mehr nur vor der Presse flüchtet, sondern auch vor denen, die ihre 50 Millionen schwedische Kronen zurückhaben wollen und bald auch vor der Polizei – quer durch Schweden zusammen mit anderen, mit denen er sich unterwegs anfreundet. Der erste Kriminelle stirbt in einem Kühlraum, auf den zweiten setzt sich ein Ex-Zirkuselefant – ihr ahnt schon, wie ich als Elefantenliebhaberin darüber denke – und der dritte wird von einem Bus gerammt. Kommissar Göran Aronsson, der ihnen auf der Spur ist, wundert sich, wie gut es ihnen gelingt, die Leichen verschwinden zu lassen, während die Presse schreibt, der Hundertjährige sei von einer kriminellen Bande entführt worden. Doch zumindest eine Sache erweist sich als bestätigt, nämlich dass »die gefundenen Pantoffeln Allan Karlsson gehörten (Schwester Alice hatte nur kurz daran geschnuppert, eine Grimasse gezogen und genickt).«

Wer sich für Roadmovies begeistern kann, ist in diesem Roman richtig, schon allein wegen des frechen und respektlos komischen Sprachstils. In die Romangeschichte verwoben ist der Lebenslauf von Allan Karlsson, der als Laufbursche in einer Nitroglycerinfabrik beginnt und dann in einer »phantasievollen Odyssee des dezenten Wahnsinns wie ein ›schwedischer Forrest Gump‹ amüsant durch die Weltgeschichte irrlichtert«, wie ein Filmrezensent begeistert schrieb. Er mausert sich zum Sprengstoff- und Atombombenexperten, speist im Laufe seiner Lebensgeschichte mit Vizepräsident Harry S. Truman, trifft auf Mao Tse-tung, sprengt sich den Weg aus einem Gefängnis der Geheimpolizei des persischen Schahs, macht die Bekanntschaft von Winston Churchill, nicht zu vergessen auch des schwedischen Ministerpräsidenten Erlander, und stößt zum Schluss auch noch auf Genosse Stalin, bei dem er allerdings in Ungnade fällt und daraufhin in einem russischen Arbeitslager landet, wo er vor allem sein regelmäßiges Gläschen Schnaps vermisst. Die Unsinnsgeschichte endet nach einer letzten Zwischenstation beim nordkoreanischen Kim Il-sung an einem Strand auf der indonesischen Insel Bali und damit, dass der Hundertjährige eine Indonesierin heiratet.

Das soll genügen, um zu zeigen, dass es dem Autor nicht an Ideen mangelt. Die Romangeschichte ist völlig sinnfrei angelegt, allenfalls könnte man die Lebensphilosophie von Allans Mutter als roten Faden nehmen: »Es ist, wie es ist, und es kommt, wie es kommt.« Aus meiner Sicht hätte es keiner Fortsetzung dieser absurden Fiktion mit weiteren geschichtlichen Persönlichkeiten wie Donald Trump, Kim Jong-un und Angela Merkel gebraucht – auch wenn Millionen Leser darüber wahrscheinlich anders denken. Dennoch, es ist gerade die Vielfalt der Bücher, die mich selbst immer wieder fasziniert.

Wenn euch der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über einen Kommentar von euch sehr freuen. Ihr könnt euch gern zu unserem monatlichen Newsletter anmelden.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert