Buchvorstellung – »Wake up!«
»Wider das erbärmliche Diktat der Wecker, Pausenklingeln und Stechuhren!
Wachen wir auf in einem Leben mit der Zeit.«
So lautet der Schlusssatz von Peter Spork (geb. 1965) in seinem 250-seitigen Sachbuch Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft, Hanser Verlag, München 2014. Peter Sporks Hintergrundwissen ist beachtlich. Er promovierte im Bereich Neurobiologie/Biokybernetik nach seinem Studium der Biologie, Anthropologie und Psychologie. Seit 1991 ist er freiberuflicher Wissenschaftsjournalist, u. a. für Zeitungen und Magazine wie Die Zeit, Geo Wissen, Bild der Wissenschaft, FAZ, Frankfurter Rundschau, Tages-Anzeiger Zürich und Süddeutsche Zeitung.
Auch wenn dieses Buch nicht gleichermaßen in die Tiefe geht wie Das große Buch vom Schlaf von Prof. Dr. med. Matthew Walker, verdeutlicht es dennoch mit Nachdruck die wichtigsten Eckpunkte der Schlafforschung und regt auf jeden Fall dazu an, die eigenen Schlafgewohnheiten zu überdenken. Wake up! ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine ausgeschlafene Gesellschaft – von der wir gemäß Peter Spork noch weit entfernt sind.
Schafft die Sommerzeit endlich ab!
So lautet seine Forderung an die Politik. Politiker seien dem Allgemeinwohl verpflichtet und sollten daher endlich die Argumente aus der Chronobiologie ernst nehmen und den Unfug mit der Sommerzeit beenden.
Dabei sei die Zeitumstellung an sich, das kurzfristige Aus-dem-Rhythmus-Kommen trotz bemerkenswerter negativer Folgen das kleinere Problem. Die Sommerzeit selbst sei der größte systematische Schlafräuber unserer Gesellschaft und der größte politisch motivierte Diebstahl an der Gesundheit der Bürger.
Peter Spork spricht von einem »sozialen Jetlag«, der dadurch entstehe, dass die Menschen allabendlich zu spät müde würden, weil es länger als gewöhnlich hell sei, der Wecker sie dennoch gnadenlos frühmorgens aus dem Schlaf reiße. Dadurch baue sich im gesamten Sommer bis in den Herbst hinein ein chronisches Schlafdefizit auf. Das wiederum sei verantwortlich dafür, dass die Menschen sich schlapp, unkonzentriert und müde fühlten. Denn chronischer Schlafmangel und ein Leben gegen die Zeit verringere die Leistungsfähigkeit, sauge unsere Energie auf, verbrauche uns, gefährde das Gleichgewicht unseres Stoffwechsels und mache langfristig krank, alt und dumm.
—> Dagegen helfe nur eines: die dauerhafte Beibehaltung der Normalzeit.
Macht Schulzeiten für Schüler, nicht für Lehrer!
Gemäß Schlafforschern tendieren einige Menschen aufgrund des angeborenen Tempos ihrer inneren Uhren etwas mehr zum Chronotyp »Eule« (Spättyp), andere in Richtung Chronotyp »Lerche« (Frühtyp). Doch der Chronotyp ist nicht nur genetisch festgelegt, er verändert sich auch auf charakteristische Weise mit dem Alter. Die Mehrheit der Teenager beiderlei Geschlechts würden sich in regelrechte »Monstereulen« und die meisten Senioren in »extreme Lerchen« verwandeln.
Diese Umkehr des Einschlaftrends gehöre im Laufe des Lebens zu einer systematischen, für jeden Menschen gültigen Entwicklung. Noch sei die genaue Ursache unbekannt, aber vieles spräche für altersbedingte Hormonumstellungen, etwa des Wachstumshormons und der Geschlechtshormone, die das Tempo der inneren Uhren beeinflussten.
So wie die Leistungsgesellschaft manche Erwachsene – vor allem jene mit hohem Schlafbedürfnis und schlecht zum Arbeitsrhythmus passendem Chronotyp – in den Burnout treibe, wird der Freiburger Schlafmediziner Dieter Riemann zitiert, so seien einige Kinder mit Adipositas oder Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) vielleicht unerkannte »Eulen«, die einfach nicht genug Zeit zum Schlafen bekämen.
—> Die Schule müsse unbedingt später beginnen, die Lehrpläne entschlackt werden bzw. eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium erfolgen.
Mach mal Pause!
Gemäß Peter Spork seien Pausen eine generelles biologisches Prinzip: ohne Pausen käme kein Wesen ins Gleichgewicht und das beträfe vor allem unsere Leistungs- und Aufnahmefähigkeit, aber natürlich auch den Appetit und die Schläfrigkeit. Wir seien nicht dafür gemacht, stundenlang auf konstant hohem Niveau durchzuarbeiten, auch wenn das von den meisten Arbeitgebern verlangt würde. Doch je größer die Arbeitsanforderung, desto weniger würde der Mensch sein Pausenbedürfnis spüren.
Zitiert wird der Freiburger Somnologe Dieter Riemann: »Ich mache oft und gerne einen kurzen Mittagsschlaf und kann nicht verstehen, dass sich diese simple Möglichkeit zur Leistungssteigerung bei uns nicht durchsetzt.« Der Betriebsarzt Olaf Tscharnezki hat des Rätsels Lösung, wenn er von einer notwendigen »Entkriminalisierung von Schlaf« in unserer Gesellschaft spricht.
Nach den geistigen Hochphasen im Nervennetz unserer Großhirnrinde, so Peter Spork weiter, sei es klug, die biologischen Tiefs des Tages für kreative Pausen zu nutzen. Zitiert wird der Bamberger Schlafmediziner Göran Hajak mit der Aussage, dass es Stress für den Körper bedeute, wenn wir müde seien und gegen den Schlaf ankämpfen würden. Wer daher dem mittäglichen Schlafbedürfnis nachgehen könne, solle dies tun. Es sei ein sinnvolles biologisches Programm, das wir für eine kurze Phase der Entspannung im Sinne eines »Powernaps« nutzen sollten. Der Nap – das Nickerchen – verleiht uns neue Power – also Energie.
—> Empfehlenswert sei der berühmte Einstein’sche Schlüsselbund, den das Physik-Genie in die Hand nahm. Wurde der Schlaf zu tief, fiel der Schlüssel scheppernd zu Boden, da im Tiefschlaf die Muskelspannung nachlässt. So hatten Einsteins Powernaps exakt die richtige Dauer.
Um von Grund auf ausgeschlafen zu sein, so Peter Spork, würden wir vier bis sechs Schlafzyklen benötigen, bei denen auf Leichtschlaf mit einigen kurzen Aufwachmomenten, Tiefschlaf und schließlich REM-Schlaf folge. Mit zunehmendem Alter würde diese Schlafarchitektur fragmentierter und brüchiger – der Schlaf sei weniger tief, die Wachphasen seien länger. Das käme daher, dass die Signalstärke unserer zentralen »master-clock« (unserer Zeitgefühl-Kommandozentrale, welche die gesamte innere Rhythmik unseres Körpers steuert, der sogenannte SCN) mit der Zeit abnehme.
—> Für ältere Menschen sei es deshalb besonders wichtig, ihre innere Rhythmik mit geeigneten Signalen wie hellem Licht und Aktivität am Tag in Schwung zu halten.
Helles Licht stärke die innere Rhythmik, was tags aktiver und leistungsfähiger mache und nachts besser und tiefer schlafen lasse. Mit hellem Licht ist allerdings nicht unsere Wohnzimmerbeleuchtung mit ungefähr 50 Lux oder kaltweißes Bürolicht von etwa 500 Lux gemeint. Wir müssen nach draußen, und zwar so früh wie möglich am Tag. Wir brauchen das Tageslicht als Superzeitgeber für unsere inneren Uhren. Schon ein bedeckter Wintertag bringt es auf 2.000 bis 3.500 Lux, mehr als viele Tageslichtlampen, ein heller Sommertag erreicht sogar 100.000 Lux.
Abends ist es genau umgekehrt. Unsere biologische Zeitmessung reagiert hochsensibel auf sämtliches Licht, das sehr hell ist oder einen hohen Blaulichtanteil hat, wodurch sich die abendliche Ausschüttung des Melatonins, des Signals für unseren Schlaf, verzögert. Angesichts der Tatsache, dass wir uns kurz bevor wir ins Bett gehen und einschlafen wollen, noch einmal einer Extraportion Helligkeit des besonders kalt und hell erleuchteten Badezimmerspiegels aussetzen, fragt Peter Spork:
—> »Können Sie sich vorstellen, beim abendlichen Zähneputzen das Badezimmerlicht zu löschen?«
Unseren persönlichen Rhythmus leben
Peter Spork fällt auf, dass es gerade kreative Menschen sind – Künstler, Schriftsteller, Theatermacher, die schon heute am ehesten ihren persönlichen Rhythmus leben, die keinen Wecker stellen müssen. Auch ich gehöre zu diesen Menschen und bin sehr dankbar dafür, dass mir das in meiner jetzigen Lebensphase als freischaffende Autorin möglich geworden ist. Ich stimme Peter Sporks Schlusswort voll und ganz zu:
»Ein natürliches, intuitives Gefühl für Zeit
verleiht dem Leben beglückende Tiefe.
Und es ist untrennbar verbunden
mit ausreichendem Schlaf.«
(Peter Spork)
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