Buchvorstellung – »Der gelbe Elefant«

Cover fürs Buch »Der gelbe Elefant«

»Elefanten sind das Spiegelbild unseres erwachten Bewusstseins. Ich habe lange geschlafen, viel Schuld auf mich geladen und zugelassen, dass mein Stolz und meine Ichbezogenheit die Freuden meines Lebens auslöschten. Jahrelang redete ich mir ein, dass man mich sowieso verlässt. Und das taten meine Angehörigen dann auch. Einer nach dem anderen. Und ich tat viel dafür, ohne es zu wissen. Was war ich blind und verhärtet. Ich konnte nicht vergeben. Weder mir selbst noch den anderen, die mich verletzten. Nun bin ich alt, krank und allein. Und doch fühle ich mich dank Ihnen mit jedem Tag etwas lebendiger als in den fünfzig Jahren zuvor. Dieses Geschenk hatte ich zu Lebzeiten nicht mehr erwartet. Danke. Gehen Sie offenen Auges durch Ihr Leben, Angelika, und schöpfen Sie alles aus, was Ihnen echte Freude bereitet. Dieser kleine Elefant steht für all das.«

Diese Worte sprach eine 74-jährige Klientin zu ihrer Psychotherapeutin, als sie ihr einen kleinen blassgelben Elefanten aus Speckstein als Dankeschön überreichte. Nun steht Tanya das erste Mal in dieser Praxis und fühlt sich sofort angezogen von dem kleinen gelben Elefanten, dem rechts ein halbes Ohr fehlt und der auch sonst recht mitgenommen aussieht. So perfekt unvollkommen, wie er aussieht und dennoch den Rüssel in die Höhe streckt, scheint er Tanya etwas Wichtiges mitteilen zu wollen, als er sie mit seinen bernsteinfarbenen wachen Augen ansieht …

Erst am Ende dieser bewegenden Lebens- und Selbstfindungsgeschichte erfahren die Leser/innen, was es mit dem gelben Elefanten auf sich hat – zu lesen in der 268-seitigen Biografie von Viq Marquez Der gelbe Elefant, tredition Verlag, Hamburg 2020. (Wer lieber eine Selbstfindungsgeschichte von einem männlichen Autor – und meiner Meinung nach für Männer geschrieben – lesen möchte, könnte es einmal mit der 154-seitigen unkonventionellen Erzählung Der falsche Elefant, Selbstverlag 2019 von Luca Jonjic versuchen, die ebenfalls zur Selbstreflexion anregt.)

Wieder aufstehen oder vor dem Leben kapitulieren?
Diese Frage stellt sich Tanya von Kindesbeinen an und das nicht nur einmal in ihrem Leben. Viele schicksalhafte und ineinander verwobene Ereignisse stellen ihren Lebensmut immer wieder auf eine harte Probe. Schon ein kleiner Auszug aus dem Prolog lässt erahnen, was Tanya, die schon als Kleinkind windelweich geprügelt wurde, an seelischen Lasten durch ihr Leben schleppte, sodass sie ihre gesamte Kindheit auf Alarmstufe Rot durchlief:

»Schwere umgibt uns überall. Sie sickert langsam in uns hinein, macht uns satt, schwerfällig und starr. Solange bis wir vollständig durchdrungen sind von ihr: Ohne es zu merken. […] Schwere in unseren Worten, in unseren Handlungen, in unserem Denken […] Schwere in unseren Beziehungen, […] in unserer Erziehung, […] in unserem Herzen. In uns. Schwere überall.«

Tag für Tag: Drangsal, Sticheleien, Demütigungen, Unterstellungen, Bloßstellungen vor Dritten, messerscharfe Kritik. Keine aufmunternden Worte, keine herzlichen Umarmungen. Nur Prügel und Ohrfeigen – daraus besteht ihr Kontakt zu ihren Eltern. Schon als Sechsjährige lernt sie in dieser ungesunden Familiendynamik nach außen hin den Sonnenschein zu geben, innerlich jedoch die Zähne zusammenzubeißen. Ihre Wut auf dieses »Fassaden-Schmierentheater« wächst und wächst – und hilft ihr zu überleben.

Als sie mit fünfeinhalb das Schwimmen lernen soll, werfen die Eltern sie einfach aus einem Boot ins Wasser und lassen sie um ihr Leben strampelnd im See zurück. Sie winken ihr vom Ufer fröhlich zu, stellen den Grill auf und zeigen lachend auf sie, während Tanya voller Verzweiflung um ihr Leben kämpft. Doch die Wut, so erzählt sie, »bahnte sich glühend ihren Weg durch jede Faser, jede Zelle, und trieb meinen Überlebenswillen an.«

Es folgt ein jahreslanges Mobbing in der Schule, dass dermaßen ausartet, dass sie dabei fast ihr Leben verliert. Ein junger Wolf hilft ihr in dieser schweren Stunde, diese schmerzliche Erfahrung anzunehmen und ins Positive umzukehren: »Tief verletzte Seelen erkennen einander, egal in welchem Leben, egal in welcher Gestalt.« Zur gleichen Zeit verliert sie andernorts durch ein Feuer die beiden Menschen, die sie am meisten liebt. Fortan wird sie von entsetzlichen Albträumen geplagt, in denen sie stets auf der Flucht ist. Ihr »Selbstzerstörungsbarometer« erreicht durch Alkohol- und Tablettenmissbrauch sowie wahllosen Sex bald einen Höchstwert. Ihre ganze Wut gegen das Leben richtet sie jetzt gegen sich selbst, bis sie eines Tages bewusst ihr Spiegelbild wahrnimmt und sich selbst zum Kotzen findet. Das löst eine Kehrtwende aus, die sie das erste Mal im Leben gute Erfahrungen machen lässt. Ganz langsam spürt sie kleine, aufwallende Glücksgefühle.

Bei einem Fahrradunfall verliert sie fast ihr Leben, erfährt aber auch die Geschichte hinter der Geschichte, warum ihre Eltern sie so schlecht behandelt haben. Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt sie immer mehr. Bei einem Gespräch mit ihrer großen Liebe schält sich heraus: »Wir sind hier, um zu wachsen, zu gedeihen und zu gestalten. […] unseren eigenen Rhythmus zu finden. Herauszufinden, was passt, und uns von allem zu lösen, was nicht passt. Ohne Bedauern. […] Die Schalen deiner Persönlichkeiten fallen nach und nach ab bis am Ende dein innerster Kern zum Vorschein kommt. Du bist du – ganz und gar.« Plötzlich trifft sie ein weiterer harter Schicksalsschlag. Am 26. Dezember 2004 verliert sie auf Sri Lanka ihre große Liebe, als ein Erdbeben der Stärke 9,1 im Indischen Ozean mehrere gewaltige Tsunamis und Nachbeben auslöst, die über 230.000 Todesopfer fordern. Sie selbst überlebt mit knapper Not.

Und nun steht Tanya in der eingangs erwähnten psychotherapeutischen Praxis vor dem Regal mit den vielen Elefanten und fragt sich, ob sie ihre posttraumatische Belastungsstörung jemals überwinden wird – kann sie wieder aufstehen oder soll sie vor dem Leben kapitulieren? Die Therapeutin erklärt: »Der Elefant ist mein persönliches Krafttier. Er steht für innere Stärke, Sanftmut und Verbundenheit und lehrt mich, meiner Intuition zu vertrauen, Altes loszulassen, um zu neuen Ufern aufzubrechen. […] Der gelbe Elefant ist mein liebster und auch der älteste. […] nicht so vollkommen wie die übrigen. Aber er ist vom Leben gezeichnet und steht dennoch aufrecht für sich selbst.«

Rüssel hoch! Die berührende Lebensgeschichte endet damit, dass der kleine gelbe Elefant neben Tanyas dampfenden Tasse steht und ihr fröhlich seinen kleinen Rüssel entgegenreckt. Was er ihr so Wichtiges sagen wollte?

»Die inneren Fenster weit zu öffnen und eine frische Brise willkommen zu heißen, macht uns frei.«

Tanya hat das getan. Jetzt hilft sie anderen, sich persönlich auf allen Ebenen zu entfalten sowie den täglichen Herausforderungen des Lebens adäquater und mit mehr Selbstvertrauen zu begegnen.

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