Buchvorstellung – »Was Hochsensible glücklich macht«

Cover fürs Buch »Was Hochsensible glücklich macht«

Viele Frauen gelten als schüchtern oder zickig, wenn sie weniger belastbar und weniger gesellig sind als andere. Dabei haben sie lediglich einen eingebauten Verstärker, ein besonders scharfes Auge, eine feine Nase, einen untrüglichen Geschmack, ein Gespür für Zwischentöne, niedrige Reizschwellen: Sie sind sehr empfindsam. Und Sensibilität ist keine Krankheit, sondern eine seelische Eigenschaft. Diese besondere Eigenschaft hat […] etwa jeder 5. Mensch. Renate Göckel zeigt, was ausgeprägt sensible Menschen auszeichnet, wie sie Überreizungen vorbeugen oder mit ihnen umgehen können […]

Das war ein Auszug aus dem Klappentext des 192-seitigen Sachbuches Was Hochsensible glücklich macht: Leben mit einer seelischen Begabung, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2014, der Psychologin und Verhaltenstherapeutin Renate Göckel. In ihrer eigenen Fachpraxis in Karlsruhe betreut sie seit vielen Jahren insbesondere Frauen mit Essproblemen, für die sie Warte nicht auf schlanke Zeiten: Im Gleichgewicht mit dem eigenen Körper geschrieben hat.

Prinzessin auf der Erbse
Die Originalausgabe des hier vorgestellten Buches hieß Die Erbsenprinzessin: Wie Sie das Potenzial Ihrer Empfindsamkeit nutzen. Die meisten werden wohl das bekannte Märchen des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen von der hochsensiblen Prinzessin kennen, die eine Erbse durch zwanzig Matratzen und zwanzig Eiderdaunenbetten hindurch gespürt hat. Was uns dieser Erbsentest verrät? Dass die »Prinzessin auf der Erbse« hochsensibel war. Im Märchen qualifizierte sie sich als »echte« Prinzession, denn als solche konnte sie es sich leisten, besonders empfindlich zu sein, eine hochsensible Magd dagegen nicht, ihr blieb nichts anderes übrig, als sich »zusammenzureißen«.

Das ist übrigens das, was auch meiner Meinung nach die meisten von Hochsensiblen erwarten: Sie sollen sich – trotz ihres angeborenen hochreagiblen Amygdala – zusammenreißen und anpassen, sollen nicht so schüchtern, labil, zickig, schwach, schmerzempfindlich, gefühlsduselig oder neurotisch sein. Renate Göckel möchte mit ihrem Buch erreichen, dass Hochsensible nicht genauso negativ von sich selbst denken: »Wenn am Ende dieses Buches Ihre Sensibilitltät Ihre allerbeste Freundin geworden ist, dann hat es sein Ziel erreicht!«

Die 17 hochsensiblen Frauen, die Renate Göckel Fragebögen ausfüllen ließ und ihre Lebensgeschichten, wie sie ihr Leben entspannter, den eigenen Bedürfnissen angepasster, und damit glücklicher gestalten konnten, machen das Buch interessant. Mich hat jedoch eine ganz andere Lebensgeschichte fasziniert:

»Die Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837-1898), besser bekannt als Sissi oder Sisi, war eine Hochsensible, deren Leben durch Biographien gut belegt ist.«

Sisi hatte offenbar einen Schönheitsmakel – hässliche Zähne, weswegen sie sich sehr schämte und dies zu verbergen suchte, indem sie den Mund möglichst wenig öffnete. Ihre Sprache war entsprechend leise und verwaschen. Dazu kam, dass sie sehr scheu war und ihr das Repräsentieren zuwider war. Wie hat ihr Umfeld darauf reagiert? »Ihr Schweigen jedoch wurde als Ausdruck mangelnder Intelligenz gewertet und untermauerte ihren Ruf, ein ›schönes Dummerl‹ zu sein. Sisi wiederum spürte in ihrer extremen Sensibilität diese negative Beurteilung und zog sich noch mehr von der wirklich oder vermeintlich feindlichen Umwelt in ihre selbstgewählte Isolation zurück.« Es ist bekannt, dass Sisi zu Hause im stillen Kämmerchen oft explodiert ist, später dann implodiert: Sie hat irgendwann resigniert und sich vollständig in sich selbst zurückgezogen.

Das kommt mir sehr bekannt vor und dieses Sich-allein-in-einem-Haifischbecken-zu-fühlen deckt sich damit, dass 16 der 17 befragten hochsensiblen Frauen bekannten, oft misstrauisch zu sein – in dem Sinne, dass sie im Umgang mit anderen sehr vorsichtig waren oder öfter etwas überprüften oder hinterfragten. Das könnte gemäß Renate Göckel darauf zurückzuführen sein, dass Hochsensible als Kinder schlechte Erfahrungen gemacht hätten, beispielsweise mit Hänseleien, Ausschluss aus Gemeinschaften bzw. damit, dass sie als Kind in den positiven Aspekten ihrer Sensibilität einfach nicht gewürdigt worden seien.

Die erst 16-jährige Sisi wurde mit dem österreichischen Kaiser Franz-Joseph verlobt und kam einen Tag vor der Hochzeit von Possenhofen (Bayern) zu ihm nach Wien. Ihre Mutter hatte große Bedenken, da sie Sisis Hang zur »Flucht in die Innerlichkeit« und deren »Abscheu vor Äußerlichkeiten« kannte und wusste, dass der Wiener Hof »vornehmlich auf Äußerlichkeiten, Rangfragen, aber auch Geldfragen achtete.« Trotzdem wurde die zart besaitete Sisi unter großem Pomp auf die viertägige Reise mit Schiff und Kutsche geschickt:

»Von ihrer Ankunft am Nachmittag bis in die späte Nacht war die von ihrer Reise erschöpfte Sechzehnjährige in ständiger Beobachtung wildfremder, nicht durchwegs wohlgesinnter Menschen … Ihre Erschöpfung war für jedermann sichtbar. In ihrer gläsernen Kutsche weinte sie unaufhörlich. Ob Sisi allerdings (die Huldbeweise) zur Kenntnis nahm, ist mehr als fraglich. Schluchzend kam sie in ihrem neuen Heim, der Wiener Hofburg, an. Beim Ausstieg aus der Karosse strauchelte sie, da ihr Diadem an der Türfassung des Wagens hängenblieb. Dieses Missgeschick passierte ihr ausgerechnet angesichts der versammelten kaiserlichen Familie.«

Es ist verständlich, wenn unter solchen Umständen Sensibilität zum Albtraum wird. Was Sisi in dieser Situation fehlte war innere Souveränität, ein »dickes Fell« und die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen. Übrigens, es hängt sehr viel von der Feinfühligkeit der Mutter ab, wie gut ein Kind sich später selbst oder auch andere beruhigen kann. Wir alle, doch insbesondere Hochsensible, tun gut daran, eine Entspannungsmethode zu erlernen und regelmäßig zu praktizieren. Ich persönlich bevorzuge die Blitzmethode, nachfolgend zitiert aus meinem Anti-Burnout-Buch Kaputtgekündigt…‽

»Regelmäßig fahre ich zur Entspannung meine betriebsame ›Festplatte des Lebens‹ herunter, indem ich die Augen schließe, tief einatme und beim Entströmen der Luft meinen Stress und inneren Druck herauslasse. (Durch das lange Ausatmen wird im Körper der Entspannungsprozess imitiert, während ausgedehntes Einatmen das Gehirn mit Sauerstoff versorgt und so das Denken verbessert. Wenn es dem rationalen Denken gelingt, eine Stress- oder Gefahrenmeldung der erregten Amygdala durch positive Gedankengänge zu entschärfen, lässt sich das Angst- und Stresssystem relativ schnell durch eine solche Atemkontrolle beruhigen und der Körper beendet die Ausschüttung von Stresshormonen.)«

Heißt das nun, dass Hochsensible Weicheier sind?
Die Psychologin Renate Göckel kommt noch einmal auf Sisi zurück, um zu zeigen, dass Hochsensible nicht aus Zucker sind, sondern über sich selbst hinauswachsen, wenn sie nicht in etwas gedrängt oder geschubst werden, sondern frei und selbstbestimmt handeln können. Weil eine Hofdame sich brieflich über die »Eskapaden ihrer Majestät« beklagte, wissen wir heute, dass Sisi Dinge machte, »dass einem Menschen nicht nur das Herz, sondern auch der Verstand stehenbleibt. Gestern früh war schlechtes Wetter, trotzdem fuhr sie mit dem Segler hinaus. Um 9 Uhr begann es schon zu gießen und bis 3 Uhr nachmittags dauerte der furchtbare von Donner begleitete Guss. Während der ganzen Zeit segelte sie um uns herum, saß an Deck, hielt den Regenschirm über sich und war ganz nass.«

Was sagte Sisi dazu? »Mir ist so ein Wetter am liebsten. Denn es ist nicht für die anderen Menschen. Ich darf es ganz allein genießen. Es ist eigentlich nur für mich da, wie die Theaterstücke, die sich der arme König Ludwig [II., ihr Großcousin] allein vorspielen ließ. Nur ist es hier draußen noch großartiger. Es könnte eigentlich noch tolleren Sturm geben, dann fühlt man sich so nah allen Dingen, wie in Conversation.«

Es kommt also darauf an, wie man seine Situation persönlich bewertet. Hätte jemand – so Renate Göckel – von Kaiserin Sisi verlangt, dass sie sich Wind und Wetter aussetzt, dann hätte sie tausend Einwände gehabt. Sie wäre fremdbestimmt und damit reizüberflutet und überspannt gewesen. Wenn wir etwas hingegen selbst – aus eigenem Antrieb – unternehmen, dann ist es etwas ganz anderes. »Eigene Entscheidungen treffen und gehört werden gehört zu den Idealbedingungen, unter denen Hochsensible gut gedeihen. ›Self-efficacy‹ nennen das die Psychologen. Es wird meist etwas holprig als ›Selbstwirksamkeit‹ übersetzt. Etwas bewirken können, das macht jeden glücklich, weil es die Ohnmacht vertreibt.«

Immer wieder die Balance finden – zwischen Rückzug und Selbstüberwindung
Am Schluss ihres Buches, das ich mit großem Vergnügen gelesen habe, auch wenn ich nicht mit allen ihren Ansichten (wie beispielsweise ihrer Interpretation der D’Adamo-Blutgruppentheorie) übereinstimme, gibt Renate Göckel insbesondere Hochsensiblen noch einen heißen Tipp fürs Glücklichsein:

»Die Kunst immer wieder die Balance zu finden und sie dann zu Gunsten eines kleinen Risikos aufzugeben, ist die Lernaufgabe vieler Hochsensibler. Zu viel von außen hereinzulassen führt zu Überspannung und Kontrollverlust. Zu wenig Neues hereinzulassen führt zu Stagnation und Rückschritt […] Für ein ausgefülltes Leben müssen wir lernen, hier täglich neu die Balance zu finden zwischen Abgrenzung und Präsentation, zwischen ausruhen und powern, zwischen aushalten und sich wehren.«

Was Sisi betrifft, so starb sie mit 60 Jahren am 10. September 1898 durch einen Attentäter, der ihr eine spitze Feile ins Herz stieß. Zum weiteren Entsetzen des Wiener Hofes entdeckte der Gerichtsmediziner eine Tätowierung an ihrer Schulter, einen Anker, der wohl ihre Zuneigung zum Meer ausdrücken sollte. Symbolisch bedeutet ein Anker Halt in der Tiefe, auch in der Tiefe der Seele.

Elisabeth, Kaiserin von Österreich, Gemälde von Franz Xaver Winterhalter, 1864.
Elisabeth (Sisi), Kaiserin von Österreich, Gemälde von Franz Xaver Winterhalter, 1864 | gemeinfreies Bild

Wenn euch der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über einen Kommentar von euch sehr freuen. Ihr könnt euch gern zu unserem monatlichen Newsletter anmelden.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert