Buchvorstellung – »Der Gesang der Flusskrebse«

Cover fürs Buch »Der Gesang der Flusskrebse«

Der Gesang der Flusskrebse, Carl Hanser Verlag, München 2019, der 464-seitige Debütroman von Delia Owens, einer Zoologin, die in verschiedenen afrikanischen Ländern Elefanten, Löwen und Hyänen erforschte, wurde zum Bestseller. Für mich war es mit Abstand das berührendste Hörbuch, das ich mir in diesem Jahr angehört habe. Es war ein umwerfendes literarisches Naturerlebnis, das ich nur wärmstens empfehlen kann, in dem die Küstenmarsch in North Carolina, in der die Autorin als Kind unterwegs war, erzählerisch zu einer eindrucksvollen Protagonistin wird, wenn es zum Beispiel heißt: »Kya legte ihre Hand auf die atmende nasse Erde, und die Marsch wurde ihr zu Mutter.«

Worum geht es in diesem Roman?
Das Mädchen Kya Clark lebt tief zurückgezogenen in der Wildnis des Marschlandes mit seinen Salzwiesen und Sandbänken. Dort, wo der Gesang der Flusskrebse zu hören ist, kennt das Kind jeden Stein und Seevogel, jede Muschel und Pflanze. Plötzlich ändern sich die Familienverhältnisse und die zehnjährige Kya findet sie sich ganz allein und ohne Anbindung an andere Menschen wieder. Sie lernt direkt von der Natur, was ihr – zusammen mit ihrem instinktiven Verhalten – dabei hilft, zu überleben. Loyalität und Freundschaft begegnet ihr bei den Möwen. Durch die Beobachtung der Krähen lernt Kya, Muscheln zu ernten, die sie verkaufen kann. Anfangs ist der Roman eine Schilderung des Erwachsenwerdens eines isolierten Individuums, das wegen seines von der Norm abweichenden Verhaltens Zurückweisung durch andere erfährt, sodass es sich bedroht, unsicher, einsam und unfähig fühlt.

Kya lebt weiterhin in einer sehr einfachen Hütte mit Blechdach und Holzofen, ernährt sich hauptsächlich von Grießbrei und sammelt Feder, Muscheln und vieles mehr aus der Marsch, die sie in den Regalen der Hütte verteilt. Der Roman entwickelt sich zu einer zarten Liebesgeschichte, als Kya Tate kennenlernt, einen früheren Freund der Familie, woran sich Kya jedoch nicht mehr erinnern kann. Von ihm lernt sie lesen und schreiben, während sie gleichzeitig immer reifer und erwachsener wird. Kya und Tate teilen gemeinsame Interessen wie die Liebe zur Marsch und ihren Tieren, bis Tate die Gegend verlässt und sie sich aus den Augen verlieren.

Kya lernt Chase Andrews kennen, der unbedingt mit der wilden Schönheit schlafen möchte, menschlich jedoch nicht wirklich an ihr interessiert ist. Als er tot aufgefunden wird, sind sich die Bewohner der Küstenstadt Barkley Cove einig: Schuld ist dieses Marschmädchen. Nun wandelt sich der Roman in eine Kriminalgeschichte, die mit einem Gerichtsdrama endet, das bis zur letzten Seite fesselt.

Können Flusskrebse wirklich singen?
Das wurde Delia Owens bei einem Interview gefragt. Ihre Antwort:
»Rein wissenschaftlich-technisch können Flusskrebse nicht singen. Ich habe jedoch eigene Studien betrieben. Ich habe dabei Folgendes herausgefunden: Als erstes musst du – ganz alleine – ein einfaches Lager in der echten Wildnis aufschlagen. Also an einem Ort, weit weg von Straßen oder Dörfern. Kein Park, sondern ein abgelegenes, wildes Fleckchen Land voller irdischer Kreaturen. Bei Beginn der Dämmerung musst du tief in den Wald hineinlaufen. Dort stehst du ungeschützt und ganz alleine, während sich die Dunkelheit um dich legt. Wenn du fühlen kannst, wie der Planet unter deinen Füßen und die Bäume um dich herum sich bewegen, musst du mit offenen Ohren zuhören – und ich verspreche, du wirst die Flusskrebse singen hören. Und tatsächlich wird es ein ganzer Chor sein.«

Eine weitere Frage lautete: Hat Ihre Erfahrung als Forscherin in abgelegenen Gegenden des afrikanischen Kontinents die Figurenentwicklung von Kya beeinflusst?
»Große Teile meines Erwachsenenlebens, über dreiundzwanzig Jahre, habe ich in extremer oder zumindest teilweiser Isolation verbracht. Sieben Jahre lang lebte ich zusammen mit einer anderen Person in der Kalahari Wüste, wir waren die einzigen zwei Bewohner eines Gebiets von der Größe Irlands […] Meine Erfahrungen sind also ganz sicher in die Erschaffung von Kya eingeflossen. Ich weiß, was es bedeutet, alleine zu sein. Sich mit Pavianen und Hyänen anzufreunden, weil keine Freundinnen in der Nähe leben. Die Isolation kann dich verunsichern und ein Gefühl von Unzulänglichkeit erzeugen. Ich weiß, wie es ist, in die Stadt zu gehen und den Menschen auszuweichen, weil du dich nicht zugehörig fühlst. All das ist auch Kya: allein, unsicher, ungeschickt im Umgang mit Menschen, aber auch zugleich stark, ausdauernd, kenntnisreich und sehr mutig. Am Ende gibt ihr das Vertrauen, dass durch ihr selbständiges Überleben in der Natur entsteht, die Stärke in der menschlichen Welt zu reüssieren.«

Diese persönlichen Erfahrungen der Autorin sind dem Roman anzumerken und einer der Gründe, warum er im innersten Kern des Seins intensiv zu berühren vermag. Danach las ich noch von Beverly Jensen den Roman Die Hummerschwestern, btb verlag, München 2012, der jedoch mein Herz nicht erobern konnte. Die kanadische Familiengeschichte kam sprachlich einfach zu derb daher. Es war der völlige Gegensatz zum feinfühligen Schreibstil von Delia Owens, der eine eindringliche, berührende Atmosphäre entstehen lässt, deren Spannungsbogen bis zum Ende erhalten bleibt.

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