Buchvorstellung – »Wenn Mütter nicht lieben«

Cover fürs Buch »Wenn Mütter nicht lieben«

»Die Energie des verletzten Kindes lebt in den [erwachsenen] Töchtern weiter. Dieses [innere] Kind fürchtet sich immer noch davor, verletzt zu werden«, erklärt die amerikanische Psychologin Susan Forward. Als Folge fehlender Mutterliebe wird aus einem kleinen Mädchen, das von einer lieblosen Mutter permanent kritisiert, ignoriert, misshandelt oder unterdrückt wurde, eine Frau, die sich einredet, sie sei nie gut oder liebenswert genug, nie so klug, so hübsch oder so akzeptabel, dass sie Erfolg und Glück verdient hätte, denn – ihr wurde förmlich eingetrichtert, nichts wert zu sein.

Mit ihrem 352-seitigen Sachbuch Wenn Mütter nicht lieben: Töchter erkennen und überwinden die lebenslangen Folgen, Goldmann Verlag, München 2015, möchten Susan Forward und Donna Frazier Glynn Frauen helfen, sich von solch einem schmerzhaften Erbe aus ihrer Kindheit zu befreien. Deswegen zeigen sie anhand von ausführlichen Fallbeispielen, wie Betroffene, die unter einer narzisstischen, kontroll- und herrschsüchtigen Mutter gelitten haben, diese unterschwellige, aber stets vorhandene Verletzung durch ihre Mutter überwinden können. Vor allem geht es darum, wie Selbstvertrauen und Selbstachtung zurückgewonnen werden können.

Prüfe deinen Iststand
Deine Mutter …

  • erniedrigt und kritisiert dich, weil du ihr so gut wie nichts recht machen kannst (tieferliegende Botschaft: »Alles, was du tust, kann ich besser. Du bist nicht gut genug!«),
  • macht dich zum Sündenbock (»Wegen dir habe ich so viele Probleme. Du bist nur eine Belastung!«),
  • prahlt mit ihren Leistungen, macht dir aber Vorwürfe, wenn etwas schiefgeht (»Du machst nichts richtig. Du bist zu nichts zu gebrauchen!«),
  • behandelt dich, als wärst du unfähig, selbstständig Entscheidungen zu treffen, kommandiert dich herum,
  • zeigt sich bei anderen charmant und wird kalt, wenn ihr beide allein seid,
  • versucht, dich in den Schatten zu stellen, dich niederzumachen (»Du bringst es nie zu etwas!«),
  • flirtet mit deinem Freund/Partner,
  • versucht, durch dich zu leben (»Du bist mein ganzes Leben. Keiner wird dich jemals so lieben wie ich.«),
  • mischt sich mit Anrufen, E-Mails und SMS und Besuchen so in dein Leben ein, dass du dich erdrückt fühlst,
  • sagt oder gibt dir zu verstehen, du seist der Grund für ihre Depression, ihre Misserfolge oder ihr unerfülltes Leben,
  • sagt oder gibt zu verstehen, dass sie ohne dich nicht zurechtkommt (und sie nur von Dir Hilfe will).
  • manipuliert dich mit Geld oder der Aussicht auf Geld,
  • ignoriert deine Gefühle und Wünsche oder spielt sie herunter (»Du bist so übersensibel!«)?

Nach Susan Forward weisen Ja-Antworten auf die obigen Aussagen darauf hin, dass die Mutter in ihrem Verhältnis zur erwachsenen Tochter noch immer die Grenze überschreitet. Wer als erwachsene Tochter gute Miene zum bösen Spiel macht, bewahrt zwar den Frieden, zahlt aber einen hohen Preis. Der zerstörerische Einfluss und der damit verbundene innere Schmerz bleiben bestehen, wenn sich an der Beziehung zur übergriffigen Mutter nichts ändert.

Muttertypen
Susan Forward beschreibt fünf Muttertypen, wobei die Grenzen fließend sind. Eine nicht liebende Mutter kann durchaus in mehrere Kategorien passen:

  • (1) die hochgradig narzisstische Mutter (»Und was ist mit mir?«),
  • (2) die Mutter, die sich überall einmischt (»Du bist mein Ein und Alles.«),
  • (3) die kontrollsüchtige Mutter (Weil ich es sage.«),
  • (4) die Mutter, die bemuttert werden will (»Ich bin darauf angewiesen, dass du dich um alles kümmerst.«),
  • (5) die Mutter, die ihre Tochter vernachlässigt, verrät und verprügelt (Dauernd machst du Ärger.«).

(1)
Vor allem der narzisstische Muttertyp hat ein unersättliches Bedürfnis nach Bewunderung, überschätzt die eigene Wichtigkeit und muss immer im Mittelpunkt stehen. Häufig sieht diese Mutter in der Tochter eine Konkurrentin und untergräbt deshalb durch massive Kritik deren Selbstvertrauen, Attraktivität und weibliche Kraft. Eine andere Meinung, Widerspruch oder gar Kritik werden nicht toleriert – im Sinne von »Für wen hältst du dich eigentlich?«

(2)
Der sich überall einmischende Muttertyp erdrückt die Tochter mit Forderungen nach Zeit und Aufmerksamkeit. Diese Mutter erwartet von ihrer Tochter, dass sie ihr einen zentralen Platz im Leben einräumt und nutzt so die Mutterrolle zur Befriedigung der eigenen emotionalen Bedürfnisse. Anderen gegenüber betont diese Mutter das enge Freundschaftsverhältnis zu ihrer Tochter, obwohl sie kein Verständnis aufbringt und der Tochter Schuldgefühle einimpft, wenn sich deren Bedürfnisse und Vorlieben nicht mit den ihren decken. (Du bist so eine Enttäuschung für mich. Du bist so undankbar / egoistisch / lieblos / denkst nur an dich.«) So lässt die vereinnahmende Mutter die emotionalen Handschellen zuschnappen. Sie gibt die eingeengte Welt, die sie erschafft, sogar als »besonderes Geschenk« aus, um das sich andere reißen würden. Susan Forward nennt es einen »auf gegenseitiger Abhängigkeit beruhenden Mutter-Tochter-Tango«.

(3)
Der mütterliche Kontrolltyp kritisiert ständig an der Tochter herum, denn Kritik ist die Wurzel der Kontrolle. Von Feingefühl kann keine Rede sein. Diese Mutter erwartet von der Tochter, dass sie sie glücklich macht und nach ihrer Pfeife tanzt. Sie äußert ihre Bedürfnisse, Wünsche und Forderungen deutlich, scharf und gebieterisch. Sobald die kontrollierende Mutter sich bedroht fühlt, teilt sie noch mehr Seitenhiebe aus. Sie droht mit einschneidenden Konsequenzen, wenn die Tochter andere Pläne hat, vor allem solche, von denen die Mutter ausgeschlossen ist. Die Dauerkritik einer kontrollierenden Mutter, oft verbunden mit Spott und Kränkungen, zerstört den Glauben der Tochter daran, in Ordnung zu sein, hält sie klein und beraubt sie ihrer Würde und Selbstachtung. Zudem untergräbt sie mächtig das Selbstvertrauen, das die Tochter für ihre Selbstbehauptung und ein unabhängiges Leben bräuchte.

(4)
Der kindhafte Muttertyp will selbst bemuttert werden. Aus Überforderung oder weil sie im Sog einer Depression oder Sucht gefangen ist, zwingt diese Mutter ihre Tochter zu schnell erwachsen zu werden. Durch diesen Rollentausch bringt sie sie um ihre Kindheit, denn sie wächst als »kleine Erwachsene« auf (»Ich muss immer stark sein. Ich muss alles allein machen. Erst wenn für alle gesorgt ist, kann ich endlich auch mal an mich denken.«)

(5)
Der eiskalte Muttertyp vernachlässigt, misshandelt körperlich oder schützt die Tochter nicht vor Missbrauch durch andere Familienmitglieder, was bei der Tochter tiefe seelische Wunden bzw. Narben hinterlässt. Es stellt sich die Frage, wie können diese Mütter gegenüber einem hilflosen Kind so ungerührt, so unbewegt, so herzlos sein?

Typisch für alle aufgezählten Muttertypen ist fehlendes Einfühlungsvermögen. Wegen ihrer starken Selbstbezogenheit sind sie blind für das Leid, das sie ihren Töchtern zufügen, die es ihnen nie recht machen können. Diese Mütter denken nur an sich und finden es schwierig, einen Zusammenhang zwischen ihren eigenen emotionalen Problemen (ein tiefes Gefühl von Mangel bzw. Unzulänglichkeit, große Enttäuschung im eigenen Leben etc.) und ihrem verletzenden Tun zu sehen.

Menschen mit einigermaßen gesunden Müttern können nur sehr schwer begreifen, dass nicht alle Mütter voller Liebe und Wärme sind. Das Buch Wenn Mütter nicht lieben räumt mit dem Tabu auf, die Mutterliebe nicht in Frage stellen zu dürfen – im Sinne von »Wie kannst du nur so über deine Mutter reden? Sie hat dir das Leben geschenkt.« Für den Heilungsprozess ist es sogar wesentlich, anzuerkennen, dass es Mütter gibt, die weder gewillt noch in der Lage sind, beständige Liebe als Nestwärme zu schenken, die für das emotionale Wohl eines Kindes, und damit seine gesunde Entwicklung, so überaus wichtig ist.

Susan Forward schreibt: »Diese Mütter haben eine handfeste, tief verwurzelte Persönlichkeitsstörung. Ihr Verhalten ist nicht nur situationsbedingt, sondern Teil ihres Wesenskerns.« Deswegen sehen in ihrer Liebe gestörte Mütter keine Veranlassung, sich zu ändern. Für eine Veränderung fehlt ihnen die Fähigkeit zur Innenschau.

Die Verletzung heilen
Im zweiten Teil des Buches gibt die Autorin in ausführlichen Fallbeispielen psychologische Hilfestellungen, wie die fehlende Bemutterung kompensiert werden kann. Die Beispiel-Klientinnen lernen Schritt für Schritt, sich in einem gesünderen Leben zu verwurzeln, indem sie verinnerlichen, dass ihre Bedürfnisse nicht unwichtiger sind als die der anderen. Dies kann beispielsweise zu folgenden Einsichten führen:

  • »Langsam erkenne ich, dass es nicht meine Schuld war, dass mich meine Mutter nicht geliebt hat.«
  • »Ich bin bereit, mich den Gefühlen zu stellen, die ich so lange unterdrückt habe.«
  • »Ich sehe, dass eine Veränderung wirklich schwierig ist, aber nichts zu verändern, ist schlimmer.«
  • »Ich hätte nie gedacht, dass ich das Recht habe, Nein zu sagen.«
  • »Endlich fühle ich mich erwachsen.«

Die Autorin verschweigt nicht, dass es emotionale Schwerstarbeit ist, die schmerzliche Kindheit mit einer Mutter, die nicht genug liebte, in ein authentisches Leben münden zu lassen. Es bleibt ein fortdauernder Prozess und kann bedeuten, lernen zu müssen, für sich einzustehen, auf gesunde Weise mit Konflikten und Stress umzugehen oder zum eigenen Schutz andere Menschen in ihre Schranken zu weisen.

Sehr gut gefallen hat mir dabei der Vergleich mit den Löwenzahnsamen: »Warum ist etwas so Einfaches so schwer? Es liegt an Ihrer Programmierung, den Botschaften Ihrer Mutter, die sich wie tausend kleine Schirme von Löwenzahnsamen in Ihrem Wesen eingenistet und Ihnen ein falsches Bild von sich und der Beziehung zu ihr eingeimpft haben. In einer tragenden Mutter-Tochter-Beziehung wären die Botschaften nährend, vertrauensfördernd und hilfreich für Ihr Wachstum und Ihre Unabhängigkeit gewesen.«

Am besten holen sich Betroffene professionelle Hilfe bei guten Psychotherapeuten. Jedoch auch nach einer Therapie wird die Sehnsucht nach Bemutterung bleiben, nur dass der Verlustschmerz erträglicher sein wird. Wer dranbleibt, wird hinter dem tiefen Schmerz positive Gefühle wiederentdecken und sein Unterbewusstsein die positive Erfahrung machen lassen, dass es möglich ist, sich selbst zu »beeltern« bzw. zu »bemuttern«. Wie? Erobere dir dein Selbstwertgefühl zurück. Vor allem schenke dir selbst Liebe, indem du dich beständig gut um dich selbst kümmerst. Sehr gute Anregungen enthält das Sachbuch Finde die Liebe, die dir als Kind gefehlt hat von Julia Tomuschat.

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