Elefantöses – Die Musth, die Frühlingsgefühle der Elefanten

Yala-Nationalpark, Sri Lanka: »Stopp …!« Unser Führer Pydase deutete auf das Ende der Lichtung. »Musth« flüsterte er und strich sich mit beiden Händen ehrfurchtsvoll über Schläfen und Wangen. Damit deutete er an, was wir jetzt alle sahen. Die Schläfendrüsen des Elefantenbullen waren aktiv. Ein breites dunkles Sekretband zog sich beidseitig von der Mitte des Jochbogens zu den Mundwinkeln. Ich stoppte den Motor und begann ihn zu fotografieren. Bald sah ich im Sucher, dass er auffallend rasch größer wurde. Immer schneller wurden seine Schritte. Dann hob er den Kopf an, rollte den Rüssel leicht ein und spreizte die Ohren ab. Kurz: Er griff frontal an, ohne uns lange zu warnen.

Pydase hatte bereits die Schuhe von den Füßen gestreift. Denn die Mantras (das sind Zauberformeln) wirkten nur, wenn man direkten Kontakt zum Boden halte, hatte er schon wiederholt doziert. Jetzt glitt er aus dem Wagen, brüllte dem heranstürmenden Giganten das Mantra entgegen und schleuderte zum Schluss eine Handvoll Erde hoch in die Luft. Weder Zauberformel noch laute Stimmen noch die Staubwolke, mit der Pydase das »Sandwerfen«, ein auffallendes Verhaltenselement aus dem Drohrepertoire der Tierriesen, imitierte, wirkten. Der Bulle meinte es offenbar bitterernst.

Wir flohen mit dem Landrover rückwärts, aber zunächst verfolgte uns der wütende Bulle und schnitt Kurven ab, indem er durch übermannshohen Unterwuchs brach. Endlich ließ er von uns ab.

(Der renommierte Biologe und Elefantenforscher Fred Kurt in seinem Buch »Von Elefanten und Menschen«, S. 29, Haupt Verlag, Bern 2014)

Woher kommt das Wort Musth?
Das Wort Musth wird abgeleitet vom persischen مست (mast) und bedeutet unter Drogen oder im Rausch. Interessanterweise wird es in der modernen indischen Sprache gebraucht, um jemanden zu beschreiben, der Freude, Spaß oder Vergnügen hat bzw. ein Gefühl der Zufriedenheit empfindet, etwas erreicht zu haben. Ich kannte das Wort Musth bisher nur im Zusammenhang mit Elefantenbullen in der Pubertät, die durch einen Testosteronschub geschlechtsreif und plötzlich auffällig aggressiv werden.

Was ist die Musth?
Man könnte die Musth als Brunftstimmung bezeichnen, als die »Frühlingsgefühle« der Elefantenbullen. Allerdings ist diese Phase der Fortpflanzung bei Elefanten nicht jahreszeitlich gebunden wie beispielsweise bei Hirschen. Die Musth wird bei jedem Elefantenbullen zu unterschiedlichen Zeiten ausgelöst, ist unterschiedlich intensiv und kann unterschiedlich lang dauern – von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten. Je älter der Elefant, desto länger die Musth. Wenn die Elefantenbullen – meist einmal im Jahr, manche öfter – in Musth kommen, führt ihr um ein Vielfaches erhöhter Testosteronspiegel zu verstärktem Kampfverhalten, Imponiergehabe und Begattungsdrang.

Die Musth verläuft aufgrund hormoneller Veränderungen in mehreren Phasen. In der Vorphase vergrößern sich stetig die Schläfendrüsen. Die Elefanten werden reizbarer, der Rüsselansatz schwillt an und es kommt zur Erektion des Penis. Nach etwa einem Monat steigt in der Hauptphase der Sekretfluss aus der Schläfendrüse an – ein olfaktorischer Signalgeber an weibliche Tiere. Das ölige Sekret aus den Schläfendrüsen riecht moschusartig und wirkt aphrodisierend auf paarungsbereite Elefantenkühe. Der Bulle tröpfelt jetzt ständig Urin, der biochemisch verändert ist. Der stechende Uringeruch gibt anderen Elefanten Auskunft über den Dominanzstatus und reduziert auf diese Weise Kämpfe zwischen den männlichen Elefanten.

Im Rausch seiner Geschlechtshormone dopt jetzt der eigene Körper den Musthbullen für mehrere Wochen zu physischen Höchstleistungen und Widerstandskräften gegen Schmerzen, Hunger und Verletzung. In dieser Phase muss der Musthbulle zwei- bis dreimal mehr Wasser aufnehmen als sonst, da die Musthperiode sowohl physisch als auch psychisch eine stressige Zeit ist. (Wasser ist das wirksame Anti-Stress-Mittel, nach dem auch der menschliche Körper ruft, wenn er im Stress ist.)

In der Hauptphase, wenn Aggressivität und Angriffslust ihren Höhepunkt erreichen, wurden Musthbullen in alter Zeit in Schaukämpfen und in Schlachten eingesetzt. In meinem Roman Der Elefant des Sonnenkönigs erwähne ich so einen Schaukampf zur Zeit des Sonnenkönigs – den blutigen Todeskampf zwischen einem Königstiger und einem Elefanten im Jahr 1682. Wie schrecklich! Doch das war damals der aristokratische Zeitvertreib!

Damenwahl
Die bei Tanzveranstaltungen so beliebte Damenwahl findet in der Paarungszeit auch bei den Elefanten statt. Die Elefantin sucht sich den Vater für ihre Kinder selbst aus. Ein wichtiges Kriterium ist die Größe. Der Musthpartner übertrifft auf jeden Fall immer die Schulterhöhe der Elefantin. Die Stoßzähne sind ebenfalls unübersehbare Signale bei der Partnerwahl. Oft werden Bullen mit sehr großen, schweren, sich vielleicht sogar überkreuzenden Stoßzähnen bevorzugt. Doch warum? Schließlich sind Bullen mit solchen Stoßzähnen zeitlebens benachteiligt, weil diese die Nahrungsaufnahme erschweren.

Forscher sprechen vom Handicap-Prinzip. Es besagt, dass ein Tier, das sich solch einen Nachteil leisten kann, besonders attraktiv wirkt. Die Zurschaustellung eines solchen Handicaps wirke deshalb so beeindruckend, weil damit fälschungssicher gute Gene signalisiert würden. Denn nur wer gute Gene habe, schaffe es, mit einem Handicap so lange zu überleben, bis er das betreffende auffällige Merkmal herausgebildet habe. Was die Elefanten betrifft, stimmt diese Theorie, denn Forscher konnten zeigen, dass beispielsweise die Endoparasitenlast bei Bullen mit vergleichsweise kurzen Stoßzähnen viel größer ist als bei solchen mit relativ langen, und somit ein äußeres Zeichen für eine schlechte bzw. gute Gesundheit.

Paarung
Dass gemäß der Forscherin Julie A. Hollister-Smith afrikanische Elefantenkühe nur alle drei bis neun Jahre für drei bis sechs Tage sexuell empfänglich sind, macht es den Elefantenbullen schwer, eine Elefantin im passenden Sexualzyklus zu finden. Die Bullen gehen daher auf weiträumige Suche nach Weibchengruppen und verbreiten so auf ihren Wanderungen ihre Gene außerhalb ihres angestammten Gebietes, was einer Inzucht vorbeugt.

Elefantinnen, so analysierte die Forscherin L.E.L. Bets Rasmussen, sondern mit dem Urin kilometerweit zu riechende Lockstoffe aus, die auch von vielen Blumen und Tagfaltern eingesetzt werden, um Insekten bzw. Männchen anzulocken. Auch auf Elefanten wirken diese Pheromone unwiderstehlich. Interessanterweise stellte die Forscherin Lucy A. Tayler fest, dass sich 50-jährige männliche Elefanten in der Paarungszeit um fünfzig Prozent schneller und doppelt so weit bewegten wie 35-jährige Artgenossen. Diese älteren – und meist auch größeren – Elefanten wurden von den weiblichen Elefanten dann auch deutlich bevorzugt.

Ist ein Musthbulle schließlich fündig geworden, umfasst er mit seinem Rüssel vorsichtig die Kopfpartie einer paarungsbereiten Elefantin, prüft ihre Schläfendrüsen und gibt ihr ein Gefühl von Sicherheit. Beim sogenannten Flehmen schnüffelt der Bulle mit seinem Rüssel am Urin des Weibchens, indem er die Quaste ihres mit Urin befeuchteten Schwanzes durch seine Mund zieht und dabei mit der Rüsselspitze sein Gaumendach berührt. Dort liegt das Jacobsonsche Organ, ein Geruchsorgan, mit dem beispielsweise Schlangen ihre Beute riechen können.

Im Falle des Elefantenbullen gibt es manchmal eine Enttäuschung, wenn die Elefantenkuh nur mit ihm geflirtet hat, indem sie Kopf und Schwanz hoch erhoben und ihn aufreizend berührt hat. Denn nur, wenn der Sexuallockstoff im Urin vorhanden ist, ist wirklich Paarungsbereitschaft vorhanden. Dieser Lockstoff bindet ein spezielles Protein im Schleim des Elefantenrüssels, das zunächst dafür sorgt, dass der Bulle mehr Duftteilchen wahrnimmt und mit der Paarung beginnt.

Nach dem Paarungsvorspiel folgt der Paarungsakt, bei dem der Bulle die Elefantin besteigt. Die jungen Elefantenbullen, die noch nicht in der Pubertät sind, verfolgen mit großem Interesse die Paarung der erwachsenen Elefanten und versuchen diese bei ihren jungen Altersgenossen zu imitieren. Dadurch erwerben sie sich die Grundkenntnisse des akrobatisch-elefantösen Paarungsaktes. Nach der Paarung entsorgt das spezielle Protein im Schleim des Elefantenrüssels die überschüssigen Duftstoffe, die den Bullen zur Begattung stimuliert haben, und er lässt von der Elefantenkuh wieder ab.

Der Musthbulle verlässt die Elefantenherde nicht sofort nach der Paarung, sondern bleibt in der Nachphase noch in der Nähe. Er ist bereit, die werdende Mutter so lange zu verteidigen, bis sein Samen der Nachkommenschaft sicher in ihrer Gebärmutter implantiert ist. Bei der Geburt nach fast 2-jähriger Tragzeit und Aufzucht seiner Kinder ist der Bulle allerdings nicht mehr dabei.

Hat er einen weiblichen Nachkommen gezeugt, wird die Elefantin ein Leben lang in der Herde bleiben, in der sie geboren wurde, und sich an der Pflege des jüngeren Nachwuchses beteiligen, während männliche Elefanten die Herde verlassen. Sie wandern unabhängig mit anderen Jungbullen umher oder leben als Einzelgänger, bis sie durch die Musth in hormonelle Wallung geraten. Dann ist wieder einmal »Elefantenfrühling« angesagt und sie suchen die Nähe der weiblichen Elefanten.

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