Elefantöses – Freundschaft mit einem Elefanten?

Ist das überhaupt möglich – eine Freundschaft zwischen einem wild lebenden Elefanten und einem Menschen? Ja, aber es ist etwas ganz Seltenes.

Von so einer außergewöhnlichen Freundschaft zwischen dem südafrikanischen Naturschützer Lawrence Anthony und einem prachtvollen Elefantenbullen, den er Mnumzane nannte (wird Nom-Dzahn ausgesprochen), möchte ich hier erzählen, weil es mich tief beeindruckt hat, davon in seiner Autobiografie »Der Elefantenflüsterer – Mein Leben mit den sanften Riesen und was sie mir beibrachten« zu lesen.

Da ein Elefantenalter ungefähr dem Menschenalter entspricht, konnte Mnumzane mit seinen 15 Jahren als halbwüchsiger Bulle bezeichnet werden, als er in seinem neuen Wildtierreservat Thula Thula ankam. Die mutige Leitkuh seiner Herde, Mnumzanes Mutter, war als Ausbrecherkönigin bekannt gewesen. Sie hatte nicht nur gelernt, wie sie mit ihren Stoßzähnen Tore öffnen konnte, sondern auch herausgefunden, wie man elektrische Zäune überwindet. Sie wickelte den Draht um ihre Stoßzähne, bis er riss, nahm dabei bewusst den lähmenden Schmerz von 8000 Volt auf sich, um ihn danach niederzutrampeln und mit ihrer Herde zu fliehen. An dem Tag, als die Elefantenherde von einem Reservat in Mpumalanga ins Wildtierreservat Thula Thula umgesiedelt werden sollte, wurden Mnumzanes Mutter und ihr Baby kurzerhand erschossen, weil sie Schwierigkeiten machten.

Die übrigen Elefanten gingen in drei Sattelschleppern auf eine 600 Meilen lange Fahrt, die den ganzen Tag und einen Großteil der Nacht dauerte. Als die Tore zum neuen Reservat geöffnet wurden, platzte einer der wuchtigen Lkw-Reifen mit einem lauten Knall. Man kann sich vorstellen, wie Mnumzane in Panik geriet, nachdem er gerade miterlebt hatte, wie seine Mutter und seine kleine Schwester niedergeschossen worden waren. Es war klar, dass die Elefanten, die erschrocken trompeteten, nicht länger im Laster bleiben konnten.

2 Uhr nachts. Es ist stockfinster. Regen strömt sintflutartig herab. Mnumzane und die anderen Elefanten bekommen jeder eine gigantisch große Spritze mit einen milden Beruhigungsmittel injiziert. Dann geht die Lastertür auf und zuerst steigt die neue Leitkuh Nana aus. Vorsichtig betritt sie die schlammige Erde von Thula Thula – der erste wilde Elefant nach fast einem Jahrhundert in dieser Gegend, in der bereits eine große Vielfalt an typischen Zululand-Wildtieren lebt, ein Paradies für Elefanten. Weitere Elefanten steigen aus: das männliche Junge der neuen Leitkuh, drei Weibchen – von denen eines bereits erwachsen ist – und ein 11-jähriger Bulle.

Als Letzter steigt der fast vier Tonnen schwere Mnumzane aus. Obwohl er sich benommen fühlt, bemerkt er die Menschen hinter sich. Er dreht den Kopf und starrt alle an, breitet die Ohren aus, wendet mit einer schrillen, wütenden Fanfare und stürmt los. Trotz seines jugendlichen Alters weiß er, dass er nun seine Herde beschützen muss. So kommt er zu seinem Namen Mnumzane (Zulu für Sir), denn Lawrence bewundert den Mumm, mit dem er seiner Verantwortung als ältester männlicher Elefant nachkommt. Gerade noch rechtzeitig bremst Sir Mnumzane vor dem Elektrozaun ab.

Die neue Leitkuh Nana nimmt ihre Familie in Schlepptau, schreitet das gesamte Areal der Boma ab, prüft den Elektrozaun mit ihrem Rüssel, sodass 8000 Volt ihren Körper durchzucken, worauf sie erschrocken das Weite sucht. Sie versammelt alle Elefanten im Norden des Pferchs, von wo aus sie alle nach Norden blicken, genau in die Richtung, in der ihre alte Heimat lag. Am anderen Morgen bringen die Elefanten einen neun Meter hohen Tamboti-Baum zu Fall, welcher auf den Zaun kracht, einen Kurzschluss verursacht und den Elefanten die Möglichkeit gibt, aus der Boma zu flüchten.

Aber nicht nur das. Sie überwinden auch den äußeren Zaun des Reservats, indem sie das Weidezaungerät, das die Anlage mit Strom speist wie eine Blechbüchse zerstampfen. Woher konnten sie wissen, dass dieses kleine unscheinbare Gerät, das eine halbe Meile vom Zaun entfernt im Gestrüpp versteckt lag, die Quelle des Stromimpulses war? Trotz seiner Bestürzung spürt Lawrence Anthony so etwas wie einen Anflug von Stolz – seine Elefanten sind wirklich außergewöhnliche Tiere.

Um einen weiteren Fluchtversuch zu verhindern, beschließt Lawrence einige Zeit bei der Herde zu leben, um Tag und Nacht bei ihnen sein zu können. Er bleibt zwar außerhalb der Boma, aber kampiert bei den Elefanten, füttert sie, redet mit ihnen fast ununterbrochen: »Tu’s nicht, Nana. Das hier ist jetzt dein Zuhause … Bitte tu’s nicht, Mädchen. Sie werden dich töten, wenn du ausbrichst … Das ist jetzt dein Zuhause. Du musst nicht mehr davonlaufen … Ihr werdet alle sterben, wenn ihr geht. Bleibt hier, ich bleibe bei euch, es wird euch hier gut gehen.«

Lawrence möchte die Herde kennenlernen und vor allem die Leitkuh Nana dazu bringen, wenigstens einem Menschen wieder zu vertrauen. Er glaubt, dass die Herde sonst Menschen gegenüber immer misstrauisch bleiben und nie zur Ruhe kommen wird. Doch es scheint unmöglich, zu diesen traumatisierten Elefanten durchzudringen. Ihre Feindseligkeit ist so greifbar und intensiv, dass die Barriere zwischen Mensch und Tier undurchdringlich scheint.

Dennoch – die Herde gewöhnt sich ein, auch Mnumzane, der Sohn der erschossenen Matriarchin, der nach ihrem Ableben vom Kronzprinzen zu einem Außenseiter degradiert worden ist, weshalb er die meiste Zeit allein oder am Rand der Gruppe verbringt – ein verwirrter und verstörter Teenager, der immer noch den Tod seiner Mutter betrauert. Bei der Fütterung wird er von den erwachsenen Tieren immer barsch zur Seite geschoben, sodass am Ende kaum etwas für ihn übrigbleibt und er zusehends an Gewicht verliert. Es zerreisst Lawrence fast das Herz, seine Dankbarkeit zu sehen, als sie anfangen, ihn separat mit einer Extraportion Alfalfa und frischen Akazienzweigen zu füttern.

Wenn Lawrence nun die Herde besucht, kommt Mnumzane näher an ihn heran, als der Rest der Herde. Dabei fährt er fort zu grasen und blickt hin und wieder kurz auf, um Lawrence zu beobachten. Eines Tages posaunt Mnumzane, als ob er Lawrence sagen wollte, er solle auf ihn warten. Dann läuft er direkt vor Lawrence Landrover, um ihm den Weg zu versperren. Danach bleibt er in der Nähe des Landrovers und grast friedlich. Es hat den Anschein, als ob er die Gesellschaft von Lawrence der der Herde vorzieht. Sobald Lawrence den Zündschlüssel umdreht und wegfahren will, stellt Mnumzane sich ohne jede Aggression, aber doch mit einer gewissen Bestimmtheit erneut in den Weg. Er will ihn einfach nicht gehen lassen.

»Na, mein Großer? Was ist denn heute los?«, fragt Lawrence. Mnumzane kommt langsam, fast zögernd ans Fenster, bleibt etwa einen Meter von ihm entfernt stehen und blickte ihn aus seinen klugen braunen Augen an. Gemächlich rollt er mit dem Kopf und scheint rundum zufrieden zu sein. Er strahlt eine solche Vertrautheit aus, dass Lawrence das Gefühl hat, neben einem seiner ältesten und besten Freunde zu sitzen. Lawrence ist tief ergriffen von Demut beim Anblick dieses grauen Riesen, der auf ihn aus seelenvollen Augen herabblickt und so augenscheinlich mit ihm Freundschaft schließen möchte.

Während er weiter grast, rollt er immer wieder den Rüssel nach Lawrence aus, um seine Witterung aufzunehmen und zu prüfen, ob er noch da ist. Schließlich, nach etwa einer weiteren halben Stunde, dreht er sich um und macht Platz, um den Landrover durchzulassen. »Danke, Mnumzane. Wir seh’n uns morgen, mein Freund«, verabschiedet sich Lawrence. Mnumzane neigt kurz seinen Kopf und verschwindet im Busch. Lawrence ist tief bewegt von diesem außergewöhnlichen Freundschaftsangebot.

Seine Frau neckt ihn später mit den Worten: »Er sucht einen neuen Papa.« In ihrem Buch »Ein Elefant in meiner Küche – Was mir die Herde über Liebe, Trauer und Lebensmut beibrachte« zeigt sie sich unschlüssig, wer diese Treffen mehr liebt: Lawrence, der stolze Ziehvater, der seinen Sohn beim Aufwachsen beobachtet, oder Mnumzane, der zurückgewiesene Teenager, der unter Lawrences Liebe und Akzeptanz aufblüht.

Der intensivere Kontakt zur Herde hat Folgen für den Landrover. Da Elefanten Lebewesen mit viel Körperkontakt sind, die sich ständig gegenseitig berühren, stoßen und streifen, haben sie bei jeder Begegnung kratergroße Dellen im Landrover hinterlassen. Bei Fahrten in die Stadt zieht der demolierte Landrover, dessen Seitenspiegel, Scheibenwischer und Funkantennen dem Spieltrieb der Elefanten schon längst zum Opfer gefallen sind, jetzt immer eine Menge Aufmerksamkeit auf sich und hat schnell den Spitznamen »das Elefantenauto« weg.

Eines Tages stellt Lawrence fest, dass Mnumzane erwachsen geworden ist. Er strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Er hat sich bei der Herde Respekt verschafft. Als neues Alphatier trinkt er nun als Erster an der Wasserstelle. Fortan weicht er den Landrovern nicht mehr aus, sondern bleibt einfach mitten auf der Straße stehen und bringt das zu Ende, was er gerade tut, bevor er seelenruhig seiner Wege geht. Er ist jetzt ganz zweifellos der neue Herrscher des Reservats, und niemand riskiert, sich auch nur im Geringsten mit ihm anzulegen.

Mit Lawrence gibt es weiterhin gemeinsame »Plauderstündchen« im Busch. Lawrence liebt dieses herrliche Geschöpf und freut sich, dass er seine Unsicherheiten und Ängste überwunden hat. Es war ihm schwergefallen, ohne eine Mutter- oder Vaterfigur aufzuwachsen, doch nun endlich hat er zu seiner Rolle gefunden. »Jetzt bist du ein echter Mnumzane – ein wahrer Anführer«, sagt Lawrence zu ihm und einen Moment lang steht er regungslos da und es sieht es so aus, als ob er jedes Wort verstanden hat.

Doch dann tötet Mnumzane ein Nashorn. Es ist für Lawrence ein vernichtender Schlag, als der bislang sanfte Riese gewalttätig wird.

Später erfährt Lawrence, dass zwei seiner Ranger den Bullen öfter provoziert haben, indem sie sich in einer »Mutprobe« gegenseitig dabei übertrumpfen wollten, möglichst nah an ihn heranzufahren und eilig davonzufahren, wenn er sich in ihre Richtung aufmachte. Es ist ihnen nicht in den Sinn gekommen, wie gefährlich es ist, wenn sie ihn von einem Safari-Fahrzeug aus zum Angriff reizen, das normalerweise Gäste auf Beobachtungsfahrten befördert. Als Mnumzane ein leeres, liegengebliebenes Safari-Fahrzeug in Schrott verwandelt, weiß Lawrence, dass er ihn aus Sicherheitsgründen töten muss – eine der traumatischsten Entscheidungen, die er jemals hat treffen müssen.

Er leiht sich eine .375er mit der stärksten verfügbaren Munition, doch er bringt es nicht über das Herz, dies persönlich zu tun, als Mnumzane erfreut auf ihn zukommt und ihn wie immer herzlich begrüßt. Er muss dafür zwei professionelle Schützen engagieren. Als er deren Schüsse hört, wird Lawrence bewusst, dass diese zwei Schüsse soeben das Leben seines Freundes ausgelöscht haben und eine entsetzliche Einsamkeit erfasst ihn. Es kommt ihm so vor, als ob er seinen eigenen Jungen nach neun Jahren Freundschaft im Stich gelassen hat. Dieses Gefühl vertieft sich, als festgestellt wird, dass einer von Mnumzanes Stoßzähnen an der Wurzel eine große Schwellung hat. Beim Aufschneiden kommt zutage, dass im Inneren alles verfault ist. Dieser Abzess muss ihm über einen längeren Zeitraum höllischen Zahnschmerzen verursacht haben, bis er es nicht mehr ertragen konnte, reizbar wurde und komplett durchdrehte.

»Ein verfluchter Abszess. Eine Ladung Antibiotika hätte ihm helfen können. Ich hätte es wissen müssen«, sagt Lawrence zu seiner Frau, als sie – wie so oft – am Mkhulu-Stausee sitzen und sich an Mnumzane erinnern. »Hättest du nicht. Nicht einmal du«, antwortet Françoise – unzählige Male. Sie vermissen ihn beide. Doch was geschehen ist, ist nun einmal geschehen.

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