Buchvorstellung zum Welt-Alzheimertag (21.9.) – »Wie war das noch mal?«

Wie war das noch mal …? Am 21. September ist Welt-Alzheimertag? Ja, stimmt genau, so ein Datum kann man schon mal vergessen. Vielen Menschen fällt es auch schwer, ein exaktes Datum zu bestimmten persönlichen Ereignissen anzugeben. Problematisch wird es gemäß Prof. Dr. Markus Weih allerdings erst, wenn man nicht mehr sagen kann, in welcher Jahreszeit oder in welchem Jahr man lebt. Sein 255-seitiges Sachbuch Wie war das noch mal? Lernen, Vergessen und die Alzheimer-Krankheit wurde 2011 durch den Schweizer Verleger Hans Huber veröffentlicht und vermittelt detailliertes Fachwissen zur Demenz.

In diesem Jahr 2021 soll unter dem Motto »Demenz – genau hinsehen!« auf diese langsam beginnende und allmählich zunehmende Krankheit aufmerksam gemacht werden, an der inzwischen weltweit etwa 50 Millionen Menschen erkrankt sind. Einerseits geht dieses Motto darauf ein, dass nach einer solchen Diagnose oft nur noch die Krankheit und nicht mehr der Mensch gesehen wird. Andererseits soll mit »Demenz – genau hinsehen!« hervorgehoben werden, dass jeder in seinem eigenen Umfeld genauer hinschauen kann, wenn jemand ungewöhnliches Verhalten zeigt, das auf eine beginnende Demenz schließen lässt. Denn je früher diese Krankheit erkannt wird, desto länger kann die Krankheit hinausgezögert werden.

Prof. Dr. Markus Weih dämpft jedoch allzu hohe Erwartungen an die Medizin: »Man kann also grob sagen, dass wir die Alzheimer-Demenz durch Cholinesterase-Hemmer um etwa ein halbes Jahr aufhalten können. Stellen Sie sich ein Medikament vor, mit dem Sie abnehmen können. Das Medikament ist aber schwach wirksam: Sie nehmen nur ein Pfund in einem halben Jahr ab. In etwa so müssen sie sich die Wirksamkeit von Antidementiva vorstellen.«

Ihr könnt euch vorstellen, dass mich das Buchcover sofort beeindruckt hat. Ein Elefant, der auf dem Rücken liegt – das soll wohl bedeuten, dass das sprichwörtliche Elefantengedächtnis auf der Strecke geblieben ist. Übrigens wiegt das Gehirn eines Elefanten im Verhältnis zum menschlichen Gehirn dreimal so viel. Doch das absolute Gewicht bzw. das Verhältnis des Gehirns zum Körpergewicht spielt für die Gehirnleistung keine Rolle. Wichtig ist die Anzahl der Nervenzellen und vor allem der Verbindungen untereinander.

Wo war noch mal …? »Fast jeder hat schon einmal seinen Schlüssel vergessen. Machen Sie sich deswegen bitte keine Sorgen. Demenzkranke vergessen mehr. Sie vergessen, dass sie überhaupt einen Schlüssel haben. Oder sie können nicht mehr erklären, wofür man einen Schlüssel braucht. Wenn man Demenzkranken einen Schlüssel in die Hand gibt, können sie ihn vielleicht nicht mehr richtig benutzen.«

Als Frühzeichen für Alzheimer-Demenz werden im Buch genannt:

  • Gefühl der Überforderung, ständige Versagensängste
  • sozialer Rückzug, Vernachlässigung sozialer Kontakte oder Hobbys
  • Depressivität, Ängstlichkeit
  • Gereiztheit, Wutausbrüche, Misstrauen
  • übermäßige Ordentlichkeit
  • Probleme mit Veränderungen jeder Art, Leben in der Vergangenheit
  • Vergessen von Geburtstagen, Jahrestagen, Terminen
  • Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, und das nicht nur, wenn man unausgeschlafen, gestresst oder unkonzentriert ist
  • alltägliches Wissen wie Kochen, Kartenspielen oder die Handhabung der TV-Fernbedienung geht verloren
  • der Patient findet viele Gegenstände nicht mehr oder legt sie an ungewöhnliche Stellen, verdächtigt andere Personen, den Gegenstand weggenommen zu haben
  • Fehlhandlungen: Gegenstände werden beispielsweise an ungewohnten Orten aufbewahrt (Schuhe im Eisschrank usw.)
  • Probleme, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden bzw. den Weg nach Hause zu finden
  • die Fähigkeit, mit Geld umzugehen, Überweisungen, Rechnungen und Ähnlichem geht verloren
  • falsche Angaben von Monat, Jahr oder Jahreszeit
  • einfache Dinge werden stereotyp wiederholt: dieselbe Frage wird immer wieder gestellt, dieselbe kurze Geschichte wird immer wieder erzählt
  • Vernachlässigung des äußeren Erscheinungsbildes
  • Antwort auf Fragen, indem die Frage wiederholt wird

Was war das noch mal …? Was bedeutet dieser Fachbegriff? Als Nichtmedizinerin musste ich mich schon ganz schön durch die Fachkapitel kämpfen. Der Autor des Buches, Prof. Dr. Markus Weih, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Leiter der Gedächtnisambulanz an der Psychiatrischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen und klinischer Demenzforscher, behandelt in seinem Buch viele Aspekte der Alzheimer-Krankheit im Fachdetail, unter anderem auch verschiedene Demenztests und Demenzmedikamente. Von den etwa 50 verschiedenen Formen der Demenz erklärt er die wichtigsten. Die Alzheimer-Krankheit, die nach dem deutschen Hirnforscher Alois Alzheimer benannt wurde, ist die häufigste Form.

Wer war das noch mal …? Der Neuropathologe Alois Alzheimer untersuchte im Jahr 1906 im als »Irrenschlössle« bekannten Frankfurter Krankenhaus, das damals als moderne psychiatrische Anstalt galt, nach dem Tod der ersten »Alzheimerpatientin« ihr Gehirn unter dem Mikroskop und beschrieb die Veränderungen des Gehirngewebes so präzise, dass sie auch heute noch Gültigkeit haben: Eiweißablagerungen außerhalb der Nervenzellen (Plaques) und krankhaft veränderte Eiweißfäden innerhalb der Nervenzellen (Neurofibrillen).

Demenz definiert der Autor Prof. Dr. Markus Weih wie folgt: »Der Begriff Demenz lässt sich aus dem Lateinischen ableiten: Lateinisch »de« heißt weg und »mens« Verstand. Demenz kann am besten mit Unvernunft oder ohne Verstand übersetzt werden. Demenz ist also immer mehr als nur ein schlechtes Gedächtnis. Demenzen sind Erkrankungen des ganzen Verstandes.« Die Alzheimer-Demenz ist eine primäre Demenz (das Problem liegt im Hirn selbst) und eine kortikale Demenz, was bedeutet, dass Störungen höherer geistiger Fähigkeiten – wie Gedächtnis-, Sprach- und Orientierungsstörungen – im Vordergrund stehen.

Das sind die verschiedenen Schweregrade der Demenz:

  • »Leichte Demenz: Aktivitäten des täglichen Lebens sind zwar beeinträchtigt, der Patient ist aber noch selbstständig. Komplizierte Aufgaben können aber nicht mehr ausgeführt werden.
  • Moderate Demenz: Patient kommt in den meisten Fällen alleine zurecht; muss gelegentlich angeleitet werden.
  • Mittelgradige Demenz: Patient kommt im Alltag nicht mehr ohne Hilfe zurecht. Es können nur einfache Tätigkeiten ausgeführt werden. Das Altgedächtnis ist noch gut. Neue Informationen gehen meist schnell verloren.
  • Schwere Demenz: Patient ist unfähig, neue Informationen zu behalten. Nur Fragmente des Altgedächtnisses sind erhalten. Enge Verwandte werden nicht mehr erkannt.«

Viel Platz im Buch nimmt das Kapitel »Das Gedächtnis und die Mechanismen seiner Störung« ein und die damit in Verbindung stehenden verschiedenen Erklärungsansätze der Wissenschaft, was im Gehirn von Alzheimer-Erkrankten passiert bzw. schiefläuft. Fakt ist, dass im jahrzehntelangen Verlauf der Alzheimer-Krankheit Nervenzellen (und ihre synaptischen Schaltstellen) zuerst in ihrer Funktion gestört und dann in ihrer Struktur zerstört werden. Dieser neurodegenerative Prozess, der auf der Innenseite des Schläfenlappens beginnt und sich wie ein Flächenbrand zunächst über die Hirnbasis und den Hippocampus sehr langsam über die ganze Hirnrinde ausbreitet, ist mit Entzündungen verbunden und kann derzeit durch keine Behandlung gebremst werden.

Wie und wodurch die Nervenzellen untergehen, ist immer noch nicht ganz klar. Durch den Untergang der Nervenzellen kommt es zu einer Hirnschrumpfung. Normalerweise wiegt ein Gehirn 1.200 bis 1.450 Gramm. Bei der Alzheimer-Demenz wiegt es am Ende oft nur noch 1.000 Gramm. Ein Stück Hirnrinde von der Größe eines Reiskorns enthält etwa eine Million Nervenzellen. Der Nervenzellverlust in der Hirnrinde geht bei der Alzheimer-Demenz mit bis zu 10 % pro Jahr weit über das normale Altern hinaus. Alzheimer ist kein normaler Alterungsprozess, sondern ein Krankheitsprozess. Nach etwa zehn Jahren ist im Hippocampus – der Schaltstelle zwischen dem Kurz- und Langzeitgedächtnis – fast nichts mehr übrig.

Wie war das noch mal …? Nicht jeder, der vergesslich ist, hat die Alzheimer-Krankheit. Auch wird man im Alter nicht zwangsläufig dement. Wie in meinem Sachroman RELING ausgeführt, schützen gemäß Studien kognitive Tätigkeiten (darunter ein Musikinstrument spielen und Lesen) und körperliche Aktivitäten (insbesondere das Tanzen) tatsächlich vor Demenz. Doch fällt die Diagnose Demenz, ist dies ein schwerer Schlag, denn Demenz ist derzeit nicht heilbar. Der Leitspruch des hier vorgestellten Sachbuchs lässt uns erkennen, um wie viel es dabei geht:

»Man muss erst beginnen, sein Gedächtnis zu verlieren, und sei es nur stückweise,
um sich darüber klar zu werden, dass das Gedächtnis unser ganzes Leben ist.
Unser Gedächtnis ist unser Zusammenhalt,
unser Grund, unser Handeln, unser Gefühl.«
Luis Buñuel: Mein letzter Seufzer, 1984

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