Fotoausflug – Der Herzberger Wunderstein

»Wer drey mal diessen steyn umwallt, Wird ueber hundert jare alt.«

So stand es geschrieben auf dem Wunderstein mitten in der Stadt Herzberg an der Schwarzen Elster (etwa 90 km südlich von Berlin). Kaum hatte mein Mann es gelesen, hakte er mich auch schon unter, um mit mir dreimal den Wunderstein zu »umwallen« – schließlich wollen wir über 100 Jahre alt werden, bei bester Gesundheit natürlich. Wir sind nicht abergläubisch, aber ein bisschen »Altersvorsorge« kann ja nicht schaden …

Nachdem wir spontan und intuitiv Arm in Arm unsere Runden um den Herzberger Wunderstein gedreht hatten, begann unser Kopf zu fragen, was mit »umwallen« denn eigentlich gemeint war. Schließlich konnten wir uns ja nicht in Nebel auflösen, um den Wunderstein wallend zu umgeben. Aber dann fanden wir eine Antwort im Duden: »wallen« bedeutet auch »feierlich, gemessen einherschreiten«. Na bitte, alles richtig gemacht! Jetzt werden wir bestimmt mehr als hundert Jahre alt!

Doch der Wunderstein hat auch noch eine Inschrift auf die Rückseite, die da lautet:

T. B.
REDRE VSSA PS. NEDTS
BLES H. CISOS D NU T.B.
RETS REHRO v. TH. CIN
RESL LA FRUNHCO
D.
1506

Darüber kannst du dir jetzt genauso den Kopf zerbrechen, wie wir und vor uns schon viele Herzberger Bürger und Wittenberger Studierte, als diese neue Inschrift plötzlich auf der Rückseite des Herzberger Wundersteins auftauchte. Ich komme gleich noch mal darauf zurück.

Als wir für einen Fotoausflug nach Herzberg (Elster) fuhren, wussten wir noch nichts von diesem Wunderstein, der mich übrigens zu einem neuen Buch inspiriert hat. Ihr dürft gespannt sein. Unser eigentliches Ziel war ein kleiner Tierpark, dessen Eigentümer die Stadt Herzberg ist. Unterstützung kommt seitens des Fördervereins »Freunde des Tierparks Grochwitzer Park e.V.« und einiger Freunde und Förderer des Vereins sowie durch Tierpatenschaften. Die Tiergehege befinden sich am Rande von Herzberg (Elster) im Grochwitzer Park, so dass es sich anbot, auch das Schloss Grochwitz zu besuchen, das heute ein kleines Hotel und besondere Eventlocation für Hochzeitspaare ist.

Direkt am Eingang des Tierparks sahen wir eine bunte Trostpflaster-Kette. Sie wächst ständig, denn die Herzberger Hortkinder, die wegen der Coronasituation zu Hause bleiben müssen, haben viel Spaß beim Bemalen von Ziegel-, Pflaster- und Kieselsteinen als Trostpflaster-Aktion. Eine schöne Idee! Nicht weit davon entfernt entdeckten wir mehrere aus Baumstämmen geschnitzte Figuren, die uns sehr beeindruckten. Hier war ein außerordentlich talentierter Holzkünstler am Werk!

Mit einem in Stein gemeißelten Spruch wurden wir daran erinnert, den Weg im Tierpark mit Achtsamkeit zu gehen:

Den Weg
oh Freund
beginnend hier,
beschreit manch Esel
schon vor Dir.
Er trug nur
seiner Bürde Last.

Du, der Du mehr
zu tragen hast,
genieß den Weg
weil Du verstehst,
wozu Du drauf
spazieren gehst.

Neben Weißhandgibbons, die uns bewiesen, dass sie meisterhafte Turner sind, Trampeltieren, die gerade ihr Fell wechselten, nimmersatten Mufflons und anderen kleineren Tierarten wie Stachelschwein und Streifenhörnchen, fand sich im Tierpark auch Reh und Hirsch.

Der Hirsch spielte bei der Namensgebung der Stadt Herzberg eine wichtige Rolle und ist daher auch auf dem Stadtwappen zu sehen oder auf der Wetterfahne des Rathauses. Der Sage nach soll der erste Markgraf von Brandenburg, Albrecht der Bär (1100 – 1170), einst einen Hirsch gejagt und im sumpfigen Elstertal erlegt haben. An dieser Stelle ließ er dann die Stadt Hirzberg (Hirschberg, heute: Herzberg) erbauen.

Ein bisschen sumpfig war es auch am Rande des Tierparks. Es ist ein kleines Stück ganz ursprünglicher Natur mit gelben Sumpf-Schwertlilien und einer Vielfalt von Insekten wie Libellen, Marienkäfern, Schmetterlingen und Hornissen. Nachträglich konnten wir auf unseren Fotos den Heidekrautspanner, einen kleinen, tagfliegenden Nachtfalter mit kammförmigen Fühlern, und die Blauflügel-Prachtlibelle bestimmen.

Na, hast du das Rätsel des Herzberger Wundersteins schon gelöst? Vielleicht hilft dir dabei die Geschichte aus der Zeitung für den Kreis Schweinitz, Nr. 92 vom 04.08.1923:

»Etwas abseits von den malerischen Baulichkeiten des Augustinerklosters zu Herzberg stand vor vielen Jahrhunderten ein alter Grabstein, der als wunderwirkend galt.

Man hatte diesen Stein einst gegen die klösterlichen Regeln auf dem Grabe des im Alter von 113 Jahren verstorbenen Augustinermönches Frater Fridolin errichtet als Dank für die köstlichen Elixiere, die der fromme Bruder mit einem aus den Säften elsterländischer Pflanzen, besonders des Kalmus, gezogenen unvergleichlichen Wohlgeschmack herzustellen und zur Bekämpfung aller möglichen Krankheiten freigebig und erfolgreich anzuwenden verstanden hatte.

So mochte es gekommen sein, daß sich der Glaube an die Wunderkraft, die man den Tränklein des Mönches nachgerühmt, allmählich auf sein Grabmal übertragen hatte, das von den Abergläubischen, die sich gegen Krankheit schützen wollten, gewöhnlich einigemal umschritten wurde.

Als im Jahre 1506 die Universität Wittenberg, der Pest wegen, die in diesem Orte furchtbar wütete, nach dem gesünderen Herzberg, der nächsten bedeutenden Stadt, die zugleich eine wehrhafte Festung und durch Mauern, Tore und Türme geschützt war, verlegt wurde, lernten auch die Wittenberger Studenten den ›Wunderstein‹, diese alte berühmte Herzberger Merkwürdigkeit kennen, die auch von zahlreichen Fremden, die ihr Weg durch die Stadt führte, besucht und benutzt wurde.

Als aufgeklärte Leute machten sich die Herren Studiosi, […] über die ›Kalmuskanzel‹ und ihre abergläubische Gemeinde weidlich lustig […] Daher stellten sie eines Nachts neben den Stein eine Tafel, die folgende spöttische Aufschrift zeigte: Wer drey mal diessen steyn umwallt, Wird ueber hundert jare alt. […] Sie (die Herzberger) rächten sich nun dadurch, dass sie den Spottvers in das schon stark verwitterte Grabmal einhauen ließen und ihn so zu einer äußerst wirkungsvollen Empfehlung für ihren Wunderstein machten, deren Ursprung sie mit großem Behagen auf ›die erleuchtetsten Geister der hochgelahrten Universität Wittenberg‹ zurückführten.

[…] Schenkendorf (ein Wittenberger Student und Herzberger) machte eine Ergänzung zu dem ehemaligen Spottverse, die er geheim hielt, und mit Bewilligung des regierenden Bürgermeisters in einer rätselartig verstellten Schrift und unter geheimnisvollen Umständen in die Rückseite des Wundersteins einschrieb.»

Irgendwann wurde das Geheimnis der rückwärtigen Inschrift gelüftet, was dazu führte, dass alle lachten und der Streit zwischen Bürgerschaft und Studenten endete. Na, klingelt es im Gehirn? Ich gebe dir einen Tipp: Versuche es mal damit, die Schrift rückwärts zu lesen!

Wir besichtigten den historischen Stadtkern von Herzberg mit St. Marienkirche, Rathaus und Philipp-Melanchthon-Gymnasium und entdeckten dabei ein Storchennest mit einem Storch auf einem ausgedienten Fabrikschlot. Ein Einheimischer berichtete uns, dass inzwischen einige Tritte der Leiter entfernt worden waren, nachdem sich ein Marder im letzten Jahr ganz frech Jungstörche geholt hatte. Ein paar Schritte weiter sahen wir den anderen Storch im Stadtpark nach Nahrung suchen. Genau dort stießen wir auf besagten Herzberger Wunderstein.

Bevor wir einen kurzen Abstecher zur Schwarzen Elster, einem Nebenfluss der Elbe, machten, bogen wir in den Botanischen Garten ab. Vor der Villa Marx, die der Fabrikant Carl Marx um 1906/1907 im Landhausstil erbauen ließ, gab es einen verwunschenen Märchenbrunnen, auf dem ein Frosch saß. Er war aus Stein, aber geküßt hätte ich ihn sowieso nicht, denn ich habe meinen Prinzen ja schon gefunden.

Doch was waren das für hässliche Fratzen, die unter den hölzernen Balkonen der Villa Marx angebracht worden waren? Die bösen Mächte sollten den Hausbewohnern nichts neiden und so waren diese sogenannten »Neidköpfe« dafür da, Unheil und Böses aus Neid, Zorn und Hass abzuwehren.

Der Fabrikant Carl Marx ließ damals in seinem Garten etwa 550 Sorten Rosen, 200 Rhododendronarten und 50 Arten Berberitzen pflanzen. Auch heute noch können sich Besucher an der Rosenblüte und anderen prächtigen Blütenerlebnissen erfreuen, aber auch an zwischenzeitlich großen, alten Bäumen sowie einem ausgedehnten Steingarten mit Heidegärtchen. Unterhalb eines weißen Pavillons liegt ein von Kalksteinterrassen begrenzter Teich. Das gesamte Ensemble ist eine kleine, grüne Oase, in die Besucher eintauchen und Ruhe finden können.

Doch halt, da war doch noch was: »Wer drey mal diessen steyn umwallt, Wird ueber hundert jare alt.« – Aber du weißt ja inzwischen, wie die Inschrift auf der Rückseite des Herzberger Wundersteins lautet: »Doch nur, falls er nicht vorher sterbt, und so sich selbst den Spaß verderbt.«

Übrigens, der Herzberger Wunderstein fand Erwähnung in meinem Roman RELING, in dem ich mich und meinen Mann als Hundertjährige vorstelle.

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