Elefantöses – »Tante Qualle und der Elefant«

Tante Qualle und der Elefant

Die Tante Qualle schwamm zum Strand.
Es liebte sie ein Elefant,
Mit Namen Hildebrand genannt.
Der wartete am Meeresstrand
Mit einem Sträußchen in der Hand.
Das übergab er ihr galant
Und bat um Tante Quallens Hand.
Da knüpften sie ein Eheband.
Der Doktor Storch, der abseits stand,
Der dachte: »Armer Hildebrand!«
Worauf er weiterging und lachte.

Warum der Storch wohl so was dachte?

Absurdes Tiergedicht von Joachim Ringelnatz

(* 7. August 1883 in Wurzen als Hans Gustav Bötticher; † 17. November 1934 in Berlin)
aus Geheimes Kinder-Spiel-Buch, Verlag Gustav Kiepnheuer, Potsdam 1924, 1. Auflage, Seite 33

»Jeder spinnt auf seine Weise – der eine laut, der andere leise.«
Dieses Zitat wird dem deutschen Lyriker, Maler und Kabarettisten Joachim Ringelnatz zugeschrieben. Obwohl diese Worte nicht von ihm geäußert wurden, hätten sie doch aus seinem Mund stammen können, denn der humoristische Poet, der seine letzten Jahre am Sachsenplatz in Berlin-Westend lebte (heute Brixplatz 11), ist vor allem für seine groteske Unsinnspoesie bekannt geworden. Das absurde Tiergedicht Tante Qualle und der Elefant, in dem sich ein Elefant in eine Qualle verliebt hat, gehört dazu.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Kinder einen Riesenspaß haben an solchen Unsinnsgedichten, ihre Freude an dem spielerischen Erzählton und auch nicht in Frage stellen, dass Tiere sprechen oder denken können. Dementgegen stellt der Verstand von Erwachsenen – wenngleich der trockene Humor der ungekünstelten Alltagssprache zu amüsieren mag – sofort einen Bezug zu Tierfabeln her, in denen Tiere wie Menschen handeln und menschliche Eigenschaften haben. Gäbe es da tatsächlich etwas Lohnenswertes, worüber der menschliche Geist reflektieren könnte?

Wo die Liebe hinfällt heißt es im Volksmund oder Gegensätze ziehen sich an – doch manchmal passen zwei Menschen – zumindest von außen betrachtet – so gar nicht zusammen, was in der großen Gegensätzlichkeit von Qualle und Elefant zum Ausdruck kommt. Andererseits – könnte man Andersartigkeit nicht auch als Ergänzung sehen? Das Wasserlebewesen Qualle, oft als schwebend leicht und flexibel dargestellt, könnte für Anpassungsfähigkeit, Unbeschwertheit und Gelassenheit stehen, während der Elefant, bekannt für seine Größe, Stärke und Erdverbundenheit, große Stabilität und Beständigkeit in die Beziehung einbringen könnte.

Tante Qualle
Im spirituellen Sinn symbolisieren Quallen energetischen Fluss. Sie schweben auf faszinierende Weise im weiblichsten aller Elemente, dem Wasser, lassen sich von den Strömungen treiben. Ihr Leben bleibt im Fluss, während sie ganz ihrer Intuition und ihrem Bauchgefühl vertrauen. Ob »Tante Qualle« wohl deshalb den Heiratsantrag des Elefanten annimmt?

Elefant Hildebrand
Elefanten sind für ihren großen Familiensinn bekannt. Ob Hildebrand deshalb in altmodisch-romantischer Weise mit einem Blumenstrauß um der Qualle Hand anhält?

Doktor Storch
In meiner persönlichen Interpretation stellt der Storch, der abseits steht, wenn die Gefühle der Liebe hohe Wellen schlagen, den analytischen Verstand dar. Er beobachtet, analysiert und wertet (»Armer Hildebrand!«) in diesem Unsinnsgedicht blitzschnell und geht dann lachend weiter.

Ist es Schadenfreude? Weil einige Quallen dafür bekannt sind, dass sie wegen des Gifts ihrer Nesselkapseln bei Berührung allergische Reaktionen und Hautrötungen auslösen?
Oder ist es eher ein humorvolles Lachen über die verrückten Kapriolen der (menschlichen) Liebe, die keine Laune der Natur so hervorbringen würde? Denn – die Natur bleibt bei der Fortpflanzung jeweils bei ihrer eigenen Art.
Oder ist es ein intellektuelles Belächeln des ungleichen Paares? Weil der wissenschaftlich gebildete »Doktor« – als Storch traditionell mit dem Bringen von Neugeborenen assoziiert – genau weiß, dass dieses ungleiche Liebespaar niemals eine artgemäße Fortpflanzung erleben wird, er niemals bei der Entbindung eines gemeinsamen Kindes wird helfen können?

»Warum der Storch wohl so was dachte?«
Das Gedicht endet mit einer Frage, sodass sich jeder selbst einen Reim darauf machen kann. Ich würde darauf antworten: »Weil er sich viel zu viele Gedanken machte!« Vergessen wir nicht, es ist ein Unsinnsgedicht über die verrückten Kapriolen des Lebens, das einfach nur die humorvolle Saite in uns zum Schwingen bringen möchte – mal abseits des ständig Gedanken produzierenden nüchternen Verstandes, welcher die manchmal herrlich überschwängliche, ausgeflippte Seite der menschlichen Gefühlswelt, vor allem der Liebe, so gar nicht nachvollziehen kann.

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