Buchvorstellung – »Das erschöpfte Gehirn«

Cover fürs Buch »Das erschöpfte Gehirn«
»Das Maß der Intelligenz
ist die Fähigkeit zur
Veränderung.«
Albert Einstein

Das Wort Intelligenz geht auf das lateinische Wort intellegere zurück, eine Wortkombination aus inter für zwischen und legere für wählen. Es bedeutet demnach auswählen zwischen zumindest zwei Alternativen, also Entscheidungsfähigkeit bzw. die Fähigkeit zur Veränderung, wie es Albert Einstein in obigem Zitat ausdrückte.

In seinem 368-seitigen Sachbuch Das erschöpfte Gehirn – Der Ursprung unser mentalen Energie – und warum sie schwindet, Heyne Verlag, München 2022, führt uns der Arzt und Molekulargenetiker Dr. med. Michael Nehls deutlich – anhand wissenschaftlicher Erläuterungen und eigener Lebenserfahrungen – vor Augen, warum unsere geistige Energie immer mehr schwindet, was das für Folgen hat und was wir dagegen tun können. Im Klappentext heißt es auszugsweise:

»Wir leben in einer dauererschöpften Gesellschaft! Die Folgen sind fatal, denn wenn die geistige Energie für Reflexion und durchdachte Entscheidungen schwindet, dominieren einfache Denkmuster, stereotypes Handeln und angstgeleitetes Verhalten: Selbstwertgefühl, Durchhaltevermögen, Empathiefähigkeit und insbesondere unsere geistige Flexibilität nehmen ab. Wir verlieren dadurch die Fähigkeit, Dinge kritisch zu hinterfragen und neue Wege zu gehen, selbst wenn wir wissen, dass eine Richtungsänderung dringend nötig wäre – zum eigenen Wohl und dem zukünftiger Generationen.«

Wo ist die Quelle unserer mentalen Energie?
Wo unser »Hirn-Akku« zu finden ist, erklärt Michael Nehls anhand eines drastischen Beispiels: Am 23. September 1848 durchbohrte bei einem Sprengstoffunfall eine Eisenstange das Gehirn des Eisenbahnbauers Phineas Gage. Zerstört wurde vor allem das Frontalhirn, der sogenannte Präfrontale Cortex, doch er überlebte. Schon nach wenigen Wochen war er körperlich wiederhergestellt. Trotz massiver Hirnzerstörung waren auch sein Langzeitgedächtnis sowie die Wahrnehmung seiner Umwelt unverändert. Dennoch war er nicht mehr derselbe Mensch:

»Der zuvor stets als höflich, ausgeglichen und besonnen bekannte Gage war plötzlich wesensverändert. Die Zerstörung größerer Teile seines präfrontalen Cortex bzw. seines Frontalhirns machte ihn unzuverlässig, sprunghaft und respektlos – sich selbst und anderen gegenüber. Er zeigte starke Stimmungsschwankungen, wurde zum Trinker, gab sich ziellos Vergnügungen aller Art hin und verschwendete sein Geld. Über die langfristigen Folgen seines ausschweifenden Lebens schien er sich keinerlei Gedanken zu machen.«

–> Viel häufiger jedoch, so der Autor, ist ein Mangel an mentaler Energie nicht strukturell, sondern funktional bedingt.

Warum sich unser Frontalhirn zunehmend erschöpft
Die Ursachen für eine zunehmende Entleerung bzw. Schwächung unseres Frontalhirn-Akkus sieht Michael Nehls in unserer modernen und weitgehend »artfremden«, wirtschaftskonformen Lebensweise. Da unsere mentale Energie, die für viele Aufgaben und Entscheidungsprozesse benötigt wird, limitiert ist, wird eine ungesunde Lebensweise über kurz oder lang in den Teufelskreis der Frontalhirnschwäche münden:

… … … artfremde hirnschädliche Lebensweise –> gestörte Entwicklung und reduzierte Kapazität des Frontalhirn-Akkus –> Mangel an Empathie und Selbstkontrolle; fehlende Ein- und Weitsicht; Unfähigkeit zur Veränderung –> zerstörerisches Wirtschaften und Konsumismus; Zunahme an Umweltgiften –> artfremde hirnschädliche Lebensweise … … …

Die Folgen der Erschöpfung des Gehirns
Ein funktionsfähiges Frontalhirn ist Voraussetzung für rationale, emotionale und soziale Intelligenz. Ein voller Akku sichert uns Motivation, Willenskraft, Fokus und Selbstkontrolle. Ein starkes Gehirn führt zu ausgewogenen Entscheidungen.

Bei einer chronischen Schwächung der Frontalhirnfunktionen jedoch, wovon laut Autor ein großer Teil der Menschheit betroffen ist, kommt es – wie bei dem erwähnten Fallbeispiel Phineas Gage – zu einem verstärkten Hang zum Narzissmus. Dieser sei geprägt durch eine überhöhte Ich-Fokussierung, eine übertriebenen Tendenz, das eigene Wohl über das anderer zu stellen, sowie einer Abnahme an Empathiefähigkeit in der breiten Gesellschaft.

Was bedeutet das?
Es bedeutet, dass es den meisten Menschen schwerfällt, notwendige Veränderungen im Lebensstil vorzunehmen, dass gute Vorsätze immer wieder über den Haufen geworfen werden und zu selten die richtigen Entscheidungen getroffen werden.

Es bedeutet, dass bei den meisten Menschen keine Änderung der Lebensweise zu erwarten ist. Denn – wenn nicht einmal persönliche Aspekte – wie eine chronische Krankheit mit der Folge eines verfrühten Todes – Anreiz genug sind, lieb gewonnene, aber auf Dauer leidbringende Gewohnheiten aufzugeben, wie viel weniger ist das dann zu erwarten hinsichtlich weltweiter Aspekte wie einem ökologischen Gleichgewicht bzw. fairen Zukunftschancen für alle Lebewesen auf der Erde.

Hier sehe ich ebenfalls einen engen Zusammenhang zum Welt-Erschöpfungstag – denn alles, was wir Menschen tun, wie unbedeutend es uns auch erscheinen mag, hat Konsequenzen, da in der Natur alles mit allem verbunden ist.

Wie wir der mentalen Erschöpfung entgegenwirken können
Dies wird uns nur dann gelingen, wenn wir die natürlichen Bedürfnisse unseres Gehirns kennen. Denn – wie der Autor immer wieder betont – seine Speicherkapazität ist limitiert, da sich unser Frontalhirn-Akku durch Denken stetig »entlädt«. Am wichtigsten ist daher, dass er sich immer wieder »aufladen« kann. Dies geschieht insbesondere durch erholsamen Schlaf. Der mentalen Erschöpfung kann auch durch andere Faktoren wie einer gesunden Ernährung (mit ausreichend aquatischen Omega-3-Fettsäuren) sowie mit sozialen und körperlichen Aktivitäten entgegengewirkt werden.

Sehr beeindruckt hat mich die Schilderung, wie während des Nachtschlafs das Peptid ß-Amyloid durch das glymphatische System aus dem gesamten Gehirn »ausgewaschen« wird. Das Peptid ß-Amyloid hat sozusagen dieselbe Funktion wie das Umblättern bei Einträgen in ein Tagebuch. Es sorgt tagsüber dafür, dass stets eine frische Seite beschrieben und somit nichts überschrieben wird. Auf diese Weise schützt es unsere Erinnerungen. Es reichert sich jedoch im Tagesverlauf immer weiter an, wodurch die Kapazität unseres Frontalhirn-Akkus – die Summe aller zur Gedankenspeicherung nutzbaren Synapsen – immer weiter sinkt.

Dazu passt auch der Vergleich mit einem digitalen Fotoapparat. Nachdem wir gemachte Fotos auf einer Festplatte gespeichert haben, ist es notwendig, diese auf der Speicherkarte zu löschen, weil mit einer vollen Speicherkarte weiteres Fotografieren unmöglich ist. Dieses Beispiel half mir, besser zu verstehen, warum plötzlich diverse Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen bei mir auftauchen, wenn ich in der Nacht zuvor kaum oder schlecht geschlafen habe: Sie sind ein deutliches Anzeichen dafür, dass mein Gehirn – auch im Rahmen einer Demenz-Vorsorge – nicht ordentlich »durchgespült« wurde.

Es lohnt sich, selbst einmal im Detail nachzulesen, was da genau während des Schlafens passiert oder wie massiv chronischer Stress mit ständig erhöhtem Cortisolspiegel zur mentalen Erschöpfung beiträgt. Denn wir haben es selbst in der Hand, ob unser Frontalhirn-Akku stets gut geladen ist oder ob unser Hirnvolumen – auch im Alter – schrumpft oder wächst. Ein letztes Beispiel, mit dem Michael Nehls wachrütteln möchte:

Sich zu bewegen sei eine lebenswichtige Entscheidung: Schon ein täglicher Spaziergang von etwa 40 Minuten lasse den Hippocampus des Gehirns im Laufe eines Jahres um durchschnittlich etwa zwei Prozent wachsen. Sitzen lasse dagegen unser Gehirn schrumpfen.

Wenn euch der Beitrag gefallen hat, würden wir uns über einen Kommentar von euch sehr freuen. Ihr könnt euch gern zu unserem monatlichen Newsletter anmelden.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert