Weltbuchtag – 23. April 2024
»In den Büchern liegt die Seele aller gewesenen Zeit.«
Thomas Carlyle (1795-1881)
schottischer Philosoph, Historiker, Essayist
Aus Über Helden, Heldenverehrung und das Heldentümliche in der Geschichte, 1841
Historisches Wissen
Bücher – wie auch mein gerade veröffentlichtes Buch Schneewittchen gab es wirklich – enthalten viel über vorangegangene Zeitepochen. Man könnte Bücher als einen riesigen historischen Wissensspeicher der Vergangenheit betrachten. Wie obiges Zitat zum Ausdruck bringt, sind darin die Gedanken, Gefühle und Vorstellungen der unterschiedlichsten Menschenseelen enthalten. Die Brüder Grimm schrieben beispielsweise in der literarischen Strömung des Biedermeier (1815-1848) zwischen Romantik und Realismus, was sich deutlich in ihren Märchen zeigt, in denen die Sehnsucht nach einem ruhigen Leben in idyllischer Naturverbundenheit und Häuslichkeit zum Ausdruck kommt. Der Leser kann also erahnen, wie das Leben zur Zeit eines Autors gewesen sein muss bzw. welche Lebensvorstellungen damals herrschten.
Zeitbrille der Autoren
Wenn nun Autoren wie die Brüder Grimm Märchen sammelten, die auf wahren Lebensgeschichten früherer Jahrhunderte zurückgingen, wie das bei ihrem Märchen Sneewittchen der Fall war, dann erleben wir beispielsweise die Lebensgeschichte der Grafentochter Margaretha von Waldeck, die in der Kulturepoche Hochrenaissance (1500-1530) lebte, durch die wesentlich spätere Zeitbrille der Brüder Grimm. Und obwohl ich als Autorin diese historische Geschichte der Komtesse Margaretha von Waldeck sehr sorgfältig recherchiert habe, um euch auch die »Seele der damaligen Zeit« vermitteln zu können, ist es natürlich wiederum meine eigene Zeitbrille, durch die ich diesen spektakulären Mordfall des 16. Jahrhunderts betrachtet habe.
Buch versus Film
Ähnlich verhält es sich mit Literaturverfilmungen. Meist sind wir enttäuscht, wenn wir zuvor das Buch gelesen haben bzw. erkennen die »Seele des Buches« kaum wieder. Das liegt einerseits an der Verschiedenartigkeit der beiden Medien und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, andererseits eben auch daran, dass der Regisseur eines Films seine ganz eigene künstlerische Brille der Interpretation bzw. der kreativen Umsetzung des literarischen Stoffes trägt.
Warum gefällt uns so oft die dramaturgische Umsetzung eines Buches in ein Filmgeschehen nicht?
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es daran liegt, dass beim Lesen eines Buches unsere eigene Fantasie bedeutend umfangreicher angeregt wird, denn beim Lesen entwickelt sich die Geschichte viel langsamer. Dadurch haben wir viel mehr Spielraum, durch unsere Phantasie ganz eigene Bilder und Vorstellungen zu entwickeln, die sich wiederum mit unseren Lebenserfahrungen vielfältiger verknüpfen können.
Märchenbuch oder Märchenfilm?
Das ist auch der Grund, warum ich Kindern Märchen lieber vorlesen würde, als mit ihnen einen Märchen- oder Fantasyfilm anzuschauen. Denn so kann jeder, auch Erwachsene, die eigene Seele mit der Seele des Märchens auf ganz einzigartige Weise verbinden und seine eigene Märchenwelt erleben. Wie ich in meinem Schneewittchenbuch erwähne, wurde durch therapeutische Versuchsreihen der italienischen Kinderpsychologin Verena Bertignoll untermauert, dass Lieblingsmärchen aktuelle Entwicklungskonflikte in der Seele des Kindes widerspiegeln. (Roth, A. (2008). Review: Verena Bertignoll (2006). Kinder leben Märchen [Children Live Fairytales]. Forum Qualitative Sozialforschung Forum: Qualitative Social Research, 10(1). https://doi.org/10.17169/fqs-10.1.1241)
Neben literarischen Büchern vergangener Zeiten beinhalten insbesondere Märchen den überlieferten Wissens- und Erfahrungsschatz vieler Völker und daher besonders viele »Seeleninhalte« in Form von Urbildern der Menschheit, sogenannten Archetypen, die eine starkes Gefühlsecho bei uns auslösen.
Für mich ein Grund, mir auch immer wieder belebende Impulse außerhalb meines Lieblingsgenres zu holen. Wir müssen nicht immer nur am Puls der Zeit sein bzw. es muss nicht immer das allerneueste, brandaktuellste Buch sein – gerade in Büchern älteren Entstehungsdatums können auf Seelenebene oft wahre Schätze gehoben werden, da sie über die unterschiedlichen Zeit- und Erfahrungsbrillen der Autoren eine völlig andere Perspektive anbieten.
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