Elefantöses – Über den Film »Die Elefantenmutter«
Blitze zucken. Der Himmel ist dunkel. Kräftiger Wind peitscht die schwarzen, regenschweren Wolken über das »Königreich« der Elefantenmutter. Ein weiterer Blitz erleuchtet das Dunkel der Nacht, in der gerade ein kleines Elefantenkalb geboren wird. Mit großen, erschrockenen Augen schaut es in die stürmische, wenig einladende Welt dieses tobenden Unwetters. Doch der strömende Regen füllt die Wasserlöcher auf, die Lebensgrundlage seiner Herde und vieler anderer Tiere im trockenen Kenia.
So beginnt der erste anderthalbstündige Dokumentarfilm von Apple TV+ über den Lebensalltag einer Elefantenherde, die von einer 50-jährigen Leitkuh namens Athena angeführt wird, die seit Ende der Filmarbeiten verschollen ist. Sie war eine der wenigen Tusker (Elefant mit Riesenwuchs und besonders großen Stoßzähnen), die es in Afrika noch gibt, genau wie der Elefantenbulle Satao, der ebenfalls im Film zu sehen ist.
Sataos Stoßzähne waren etwa 2 Meter lang, so dass sie beinahe den Boden berührten, was ihm am 30. Mai 2014 zum Verhängnis wurde. Der Tsavo Trust, eine gemeinnützige Naturschutzorganisation, die den Tsavo East National Park, den Tsavo West National Park und den Chyulu Hills National Park in Kenia umfasst, bestätigte die Todesnachricht wie folgt:
»It is with enormous regret that we confirm there is no doubt that Satao is dead, killed by an ivory poacher’s poisoned arrow to feed the seemingly insatiable demand for ivory in far off countries. A great life lost so that someone far away can have a trinket on their mantlepiece. Rest in peace, Old Friend, you will be missed.«
(Mit großem Bedauern bestätigen wir, dass es keinen Zweifel gibt, dass Satao tot ist, getötet von einem vergifteten Pfeil eines Elfenbeinwilderers um die scheinbar unstillbare Nachfrage nach Elfenbein in weit entfernten Ländern zu befriedigen. Ein großes Leben ist verloren, damit jemand irgendwo ein Schmuckstück auf seinen Kaminsims stellen kann. Ruhe in Frieden, Alter Freund, du wirst vermisst werden.)
Da die illegale Abschlachterei von Elefanten offensichtlich nicht effektiv verhindert werden kann, wird diese einzigartige Tierart noch zu unseren Lebzeiten – in ein bis zwei Jahrzehnten – ausgestorben sein. Doch im Film geht es nicht um die brutale Wilderei von Elefanten, die dazu führt, dass die Todeszahlen der Elefanten nicht mehr durch Geburten ausgeglichen werden können. Allerdings hilft der Film zu verstehen, wie schwierig es für Elefantenmütter ist, Nachwuchs großzuziehen – mit einer langen Tragzeit von etwa 22 Monaten und einem Geburtsintervall von nur einem Kalb alle drei bis neun Jahre – wenn auch noch äußere Umstände wie lange Dürreperioden dazukommen.
Der vergiftete Elefantenbulle Satao galt jedenfalls als einer der größten Elefanten weltweit und lebte im Tsavo East National Park in Kenia, in dem auch der Film gedreht wurde. Über vier Jahre lang folgten die Regisseure Mark Deeble und Victoria Stone im Tsavo East National Park der Elefantenmutter Athena und ihrer Herde. Im Abspann heißt es: »In Gedenken an Athena und Satao«. Es ist ein Schande für die Spezies Mensch, dass diese beiden majestätischen Elefanten nicht mehr am Leben sind. Der große Elefantenbulle Satao wurde bereits während der Dreharbeiten erlegt und auch die verschwundene Elefantenmutter Athena ist höchstwahrscheinlich ein Opfer skrupelloser Wilderer geworden.
Die Premiere des Films war am 27. Januar 2019 beim Sundance Film Festival unter dem englischen Titel »The Elephant Queen«. Er gewann 2019 den International Green Film Award. Jeder, der auch selbst schon einmal in Afrika fotografiert und gefilmt hat, wird einschätzen können, dass die Filmaufnahmen »erste Sahne« sind.
Mir persönlich – und vielen anderen Naturliebhabern wird es genauso gehen – gefällt die filmische Umsetzung der Elefantengeschichte sehr gut. Abwechslungsreich wird – mal in Zeitraffer, mal in Zeitlupe – mit großen Landschaftsbildern, berührenden familiären Elefantenszenen, aber auch mit Großaufnahmen kleinerer Tiere im Umfeld der Elefantenherde wie einer Nilgansfamilie oder eines Chamäleons eine stimmungsvolle Atmosphäre geschaffen. Farblich besonders schön ist die Szene mit den bunten Bienenfressern, die im Flug Zikaden fressen, die die Elefanten auf ihrem Weg zum nächsten Wasserloch aufscheuchen.
Zunächst wird der Betrachter in den fröhlichen Alltag der Elefanten einbezogen, der täglich ans überlebenswichtige Wasserloch führt, wo sich auch Ochsenfrösche, Sumpfschildkröten und Killifische tummeln. Anschaulich gefilmt und humorvoll kommentiert, gerät immer mehr ins Bewusstsein, wie eng verzahnt das Ökosystem unserer Erde ist und wie sehr es aus dem Gleichgewicht gerät, wenn es aufgrund des Klimawandels immer öfter und immer längere Dürreperioden gibt.
Mir gefallen die ergreifenden Elefantenszenen, die zeigen, wie sozial und liebevoll die Rüsseltiere miteinander umgehen, wie sie sogar gemeinsam Verluste verarbeiten. Der Film macht auch deutlich, dass eine Elefantenmatriarchin wie Athena abwägen muss, wann die Interessen eines einzelnen Elefanten und wann die der ganzen Herde Vorrang haben – Interessenabwägung als schwere Last der Verantwortung, was in der jetzigen Krisensituation für Entscheidungsträger noch besser nachvollziehbar sein dürfte.
Ich habe mich gefragt, wieso das Nachrichtenmagazin »SPIEGEL Kultur« in einem Beitrag vom 04.11.2019 diesen ausgezeichneten Dokumentarfilm abwertend als »Rüssel-Schmonzette« bezeichnete und ihn als »bräsig« (nicht mehr zeitgemäß) und zum »Wegduseln« beschrieb. Nur weil die Tiere in den gesprochenen Kommentaren vermenschlicht wurden, um Zuschauer/innen mehr auf der Gefühlsebene und nicht auf rein wissenschaftlicher Ebene anzusprechen und das durch entsprechende Tonuntermalung verstärkt wurde?
Nun ja, dazu kann ich nur sagen: die Doku ist definitiv nichts für reine Kopf-, Informations- und Katastrophenmenschen, definitiv nichts für Menschen, die sich nicht schlicht und einfach nur an Tieren und reiner Natur erfreuen können und definitiv nichts für Menschen, die angesichts der heutigen Reizüberflutung nicht mehr wissen, wie sie entspannen und entschleunigen können – aber definitiv ein toller Film für Elefantenliebhaber!
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