Buchvorstellung – »Dunkle Havel«

Ovid, römischer Dichter,
43 v. Chr. – 17 n. Chr.
»Toni griff nach Sofies Hand und tanzte mit ihr …« – Wenn ein Krimi schon so beginnt, man selbst Sofie heißt, das Tanzen liebt und in Potsdam lebt, das an der Havel liegt, dann kann man gar nicht anders, als diesen Gegenwartskrimi zu lesen. Alles beginnt am 2. Mai 1998 auf dem jährlichen Baumblütenfest in Werder mit einer Liebesszene. Am anderen Morgen ist Sofie verschwunden. Ihre Kleidung und ihr Schmuck samt Ehering liegen am Ende eines hölzernen Stegs. Dort fließt die Havel grau wie flüssiges Blei vorbei.
Sechszehn Jahre später sitzt Ehemann Toni an Deck seines Hausboots in der Neustädter Havelbucht von Potsdam und »schaute auf das Minarett des alten Dampfmaschinenhauses, das die ersten Sonnenstrahlen des Tages golden reflektierte. Einige Enten schwammen über die glatte Wasseroberfläche, und über die Eisenbahnbrücke rollte ein roter Regionalzug.« Ein Bild, das sich eine Potsdamerin wie ich, die dort schon öfter einmal in den frühen Morgenstunden mit ihrer Kamera unterwegs war, lebhaft vorstellen kann. Der achtunddreißigjährige Hauptkommissar Toni Sanftleben denkt zurück an den Tag, als Sofie verschwunden ist. Weder Hubschrauber mit Wärmebildkamera noch Suchhunde, die das Ufergebiet durchkämmt hatten, weder die Freiwillige Feuerwehr Werder noch die Potsdamer Polizeitaucher, welche die dort etwa einen halben Kilometer breite Havel durchsucht hatten, hatten Sofie finden können.
»Die Ungewissheit war das Schlimmste gewesen. Gefangen in einem Schwebezustand zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Resignation und dem Verfolgen einer neuen Spur wäre es wohl immer so weitergegangen, wenn ihn sein Sohn Aroon nicht davor bewahrt hätte, den Verstand zu verlieren. Der Junge war noch zu klein gewesen, um das Verschwinden seiner Mutter zu begreifen. Er hatte ganz normale Bedürfnisse gehabt, die sein Vater hatte stillen müssen.«
Toni trifft die Entscheidung, Kriminalbeamter zu werden, um die inzwischen eingestellte Suche nach Sofie fortsetzen und jedem noch so kleinen Hinweis besser nachgehen zu können, die sich letztendlich jedoch alle als Sackgassen erweisen. Nun sitzt er nach so vielen Jahren an Deck seines Hausboots und denkt darüber nach, dass er beruflich sicherlich einen ganz anderen Weg eingeschlagen hätte, wenn Sofie damals nicht sang- und klanglos verschwunden wäre. Ihm wird klar, dass er sich so lange mit der Suche nach Sofie beschäftigt hat, dass er sich darüber verloren hat und nun ein Leben führt, das gar nicht zu ihm passt. Doch sein Nachsinnen und das daraus resultierende ehrliche Eingeständnis werden durch einen Anruf unterbrochen.
»Als sein Smartphone eine unbekannte Nummer anzeigte, wurden seine Lippen schmal. Er gab sich die größte Mühe, die aufkommende Hoffnung zu ersticken und ganz normal zu reagieren. Vergeblich! Er konnte einfach nichts dagegen tun. In ihm erwachte der brennende Wunsch, Sofie möge am anderen Ende der Leitung sein und ihm endlich erklären, was damals geschehen war.«
Wegen eines Mordes in die Potsdamer Innenstadt gerufen, stockt ihm der Atem, als Toni beim Mordopfer ein verblasstes Foto seiner Frau Sofie findet. Später wird er auch noch auf Sofies mit Elefanten und Pailletten bestickte grüne Samttasche stoßen, die in ihrem Nachlass gefehlt hat. Wird er nun endlich herausfinden, was damals wirklich geschah? Der Krimi nimmt nun Fahrt auf, denn Hauptkommissar Toni Sanftleben wird erneut jeden Stein nach ihr umdrehen und nicht eher ruhen, bis er die ganze Wahrheit ans Licht gebracht hat.
Tim Pieper gibt damit auch Denkanstösse, wie schwierig es für Angehörige ist, mit der Ungewissheit zu leben, was aus einem geliebten Menschen geworden ist, der plötzlich verschwunden ist: »Dieser Zustand war kaum auszuhalten und erstickte jedes lebendige Empfinden. Man wollte den Menschen nicht aufgeben, man wollte auf seine Rückkehr hoffen, aber nur der leiseste Hoffnungsschimmer machte jede Trauerarbeit zunichte, die gleichzeitig lebenswichtig war, um den Verlust zu verarbeiten.«
Mir hat er gut gefallen, der 256-seitige Krimi Dunkle Havel, Emons Verlag, Köln 2015, von Tim Pieper, der mit seiner Familie im Havelland wohnt, nur wenige Kilometer vor den Toren Potsdams. Ich finde, dass gerade die persönliche Verstrickung des Kommissars die Auflösung seines aktuellen Kriminalfalls so interessant macht.
Wenn euch der Beitrag gefallen hat, würde ich mich über einen Kommentar von euch sehr freuen. Ihr könnt euch gern zu meinem monatlichen Newsletter anmelden.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!