Making-of »Dornröschen gab es wirklich«

Cover fürs Buch »Dornröschen gab es wirklich«

Erst das Erzählen gibt dem Märchen seine Seele.
Gedruckt liegen Märchen nur in einem Grab,
durchs Lesen holen wir sie in unsere Vorstellung herauf,
durch das Erzählen werden sie lebendig.

Rudolf Geiger (1908-1999),
Märchenforscher, Märchenerzähler, Schriftsteller

Märchen wurden früher durch Weitererzählen verbreitet, ein sehr langsamer, dafür sehr lebendiger Vorgang, da jeder Erzähler zum Mitgestalter wurde, indem er den Märchentext nach den Bedürfnissen und Erwartungen des Publikums seiner Zeit veränderte. Auf diese Weise blieben die erzählten Geschichten lebendig. Mit der Schrift- und Buchdruckkultur erstarb die Erzählkultur. Viele Märchen wären uns sicher verlorengegangen, wenn die Brüder Grimm sie nicht gesammelt und für uns in fester Schriftform konserviert hätten, doch geschah dies um den Preis, dass sie im Schriftguss erstarrt sind. Deswegen lesen wir die Grimm’schen Märchen heute in dem von Wilhelm Grimm geprägten romantischen Märchenton und in der altdeutschen Sprache, die damals gesprochen wurde.

Was macht heutzutage die Faszination von Märchen aus?
Was hat mich dazu bewogen, mich nochmals mit einem Zaubermärchen zu beschäftigen?

GLÜCK ist das Hauptthema aller Zaubermärchen und entspricht meinem Herzensthema als Glücksautorin. Doch das erklärt es nur zur Hälfte. Die andere Hälfte liegt darin begründet, dass ich gemerkt habe, dass Märchen zu dem erzählerischen Stoff gehören, der immer interessanter wird, je mehr und tiefer man sich damit beschäftigt.

Nachdem ich mich mit Aschenputtel gab es wirklich dem Märchen aus der Sicht von Kindern genähert und festgestellt hatte, dass Märchen wegen der kollektiven Archetypen auch Erwachsenen viel zu bieten haben, vertiefte ich mich bei Schneewittchen gab es wirklich vor allem in die historische Lebensgeschichte der Margaretha von Waldeck. Es reifte in mir die Erkenntnis, dass sich de facto gar nicht so selten wahre Kriminalfälle in den mündlich überlieferten Märchen verstecken, kein Wunder, schließlich haben sich spektakuläre Ereignisse auch in alten Zeiten wie ein Lauffeuer verbreitet.

DORNRÖSCHEN – ihr Name wurde zum Zauber, ihre Geschichte zur Faszination, als ich mich auf die Suche nach dem historischen Kern des Märchens begab. Ja, liebe Märchenfreunde, auch Dornröschen gab es wirklich, selbst wenn heutzutage nur noch eine kleine Prozessakte existiert, die sogar unter Märchenforschern kaum bekannt ist. Während ich mich auf literarische Spurensuche begeben habe und immer tiefer in die Märchensymbolik eingestiegen bin, war es ein Quantensprung für mich in Dornröschen nun auch märchenübergreifend zu arbeiten.

Was macht die Faszination des Märchens Dornröschen aus?
Was wird euch dazu bewegen, mein neues vielschichtiges Dornröschenbuch zu lesen?

Die bei euch so beliebten Märchenvariationen sind natürlich nicht zu kurz gekommen, im Gegenteil, ihr werdet fasziniert sein von dem bunten Reigen der Dornröschengeschichten. Neben der handschriftlichen Urfassung der Brüder Grimm von 1810 und der letzten Fassung von 1857 könnt ihr euch auf ein mythisches, indisches, feenhaftes, mittelalterliches, italienisches, griechisches und französisches Dornröschen freuen.

Dabei werdet ihr die Erfahrung machen, dass Märchen aus unserer nordeuropäischen Kultur die Tiefe unserer Seele auf eine Weise berühren, wie es nur das Erbe unserer eigenen Kultur tun kann. Das Lesen meines Dornröschens wird euch in einen der zeitlosen Momente versetzen, an den ihr euch gern erinnern werdet, denn Dornröschen bringt uns die Einmaligkeit unseres Lebens ins Bewusstsein. Insbesondere die archetypische Weiblichkeit von uns Frauen, die (meist verborgen) in unserem kollektiven Unbewussten liegt, habe ich anhand 13 weiblicher Archetypinnen für euch greifbarer gemacht. So wie Dornröschen einst zur tanzenden Spindel gegriffen hat, so werden eure Augen tanzen, wenn ihr den Schlüssel zu eurem Glück in die Hand nehmt und das Tor zu eurem Sein weit öffnet.

Die Bedeutung des Erzählens im Märchen Dornröschen
In Europa wurden in früheren Zeiten jeden Abend Märchen erzählt. Nicht nur Kinder lauschten den Großmüttern oder Großvätern, die meisterlich erzählen konnten, sondern alle, die sich am Abend beim Feuer niederließen. Denn Märchen waren nicht nur in die Sprache der Seele gekleidet, sie waren Reisen in eine Anderswelt, welche die geistige Entwicklung vorantrieben, da sie die Seele nährten.

Im Grimm’schen Märchen Dornröschen gibt es einen alten Mann, der am Ende der hundert Jahre die Geschichte vom schönen schlafenden Dornröschen erzählt, wie sie ihm von seinem Großvater überliefert worden ist. Dieser eine Akt des Erzählens, lässt die Vorstellung so lebendig und die unmittelbare Wirkung auf den Königssohn so stark werden, dass er Feuer und Flamme ist, die schlafende Schöne zu erlösen. Dieser Akt des Erzählens spiegelt aber auch das Vertrauen der Brüder Grimm in den Wahrheitsgehalt der mündlichen Überlieferung der alten Dornröschengeschichte (und anderer) wider, Volksgut, das über Jahrhunderte (oder Jahrtausende) von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde.

Doch eigentlich waren es bereits die Aussprüche der Feen, insbesondere der mächtige Fluch der Dreizehnten, welche die Dornröschengeschichte in Gang gesetzt haben und jegliche königliche Worte in Form von schriftlichen Edikten oder mündlichen Proklamationen bezüglich Spindeln übertrumpften.

Ein weiteres Mal wird die Macht des Volksgedächtnisses – wie sie im Volksmärchen verkörpert ist – herausgehoben, indem es heißt, dass im Land die Sage vom schönen schlafenden Dornröschen ging [abgeleitet vom Althochdeutschen saga für Kunde von Ereignissen], denn so ward die Königstochter [vom Volk] genannt, da von Zeit zu Zeit Königssöhne kamen und durch die Hecke in das Schloß dringen wollten, es aber nicht vermochten.

Das Mündliche geht im Märchen Dornröschen dem Visuellen voraus: Der Königssohn lauscht zuerst der Erzählung des alten Märchenerzählers und ist davon so begeistert, dass ihn die anschließenden Worte der Vernunft des alten Mannes nicht davon abbringen können, sich zu dem Schloss zu begeben, das so dicht und hoch von einer riesigen Dornenhecke umschlossen ist, dass man nicht einmal mehr die Schlosstürme mit den Fahnen erkennen kann. Wir wissen, wie die Geschichte ausgeht: Wie er Dornröschens Mund zärtlich mit seinen Lippen berührt hatte, erwachte Dornröschen und schlug die Augen auf …

… aber haben wir uns schon einmal Gedanken darüber gemacht, dass auch der Kuss im Zusammenhang mit der Mündlichkeit verstanden werden kann? Was, wenn der Kuss der Erlösung – der übrigens eine Grimm’sche Erfindung ist, da er erst durch sie im Märchen Dornröschen auftauchte – nicht nur als Ausdruck der romantischen Liebe zu verstehen ist, sondern auch als Anspielung auf die belebende Kraft der Mündlichkeit, die das berührende Erzählen von Geschichten hervorbringt?

Du hast noch nicht geliebt, du Armer;
beim ersten Kuß wird eine neue Welt dir aufgethan,
mit ihm fährt Leben in tausend Strahlen in dein entzücktes Herz.
Ein Mährchen will ich dir erzählen, horche wohl.

Novalis (1772-1801), deutscher Schriftsteller und Philosoph der Frühromantik,
aus seinem Roman Heinrich von Ofterdingen, dem die blaue Blume entstammt,
die zum Sinnbild für die gesamte Epoche der Romantik wurde

Meine beiden Erzähler, das Dornröschenschloss Sababurg, das auf dem Cover zu sehen ist, und der lustige Dornröschenfrosch, der die Märchensymbole deutet, sind eine Hommage an die Bedeutsamkeit des mündlichen Erzählens, die im Märchen Dornröschen auf zauberhafte Weise in den Vordergrund gerückt wird.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es dem Dornröschenfrosch nicht gelingen sollte, euch aus dem Dornröschenschlaf zu holen, erkläre ich euch zu den Glücklichen, die dem Alter so gelassen wie Dornröschen entgegenschlafen – als Glücksfaktor Schlaf eine der wertvollsten Ressourcen überhaupt, die ihr euch unbedingt erhalten solltet 😉!

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