Elefantöses – »Mit Goethe in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind«

»Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen,
und die Gesinnungen ändern sich gewiss
in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.«
Johann Wolfgang von Goethe
(Die Wahlverwandtschaften, Aus Ottiliens Tagebuche 1809, 2. Teil, 7. Kap.)
Johann Wolfgang von Goethe gehört zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen Literatur. Er war vielseitig interessiert, beschäftigte sich darüber hinaus auch mit Anatomie, Mineralogie, Farbenlehre u. v. m. Er reiste gern; in Italien verbrachte er mehrere Jahre. Viele seiner persönlichen Erlebnisse fanden später ihren Niederschlag in seinen Werken. Was hat er wohl gemeint mit seinem Zitat über …
… ein Land, wo Elefanten und Tiger leben?
Mir kommt da Thailand in den Sinn, denn vor allem dort werden Elefanten und Tiger verehrt. Der Elefant gilt in Thailand als Symbol für Stärke, Weisheit und Glück, der Tiger für Mut und Macht. Die tiefe kulturelle Bedeutung kommt nicht nur in Ritualen und Traditionen zum Ausdruck, sondern auch in Elefantenschutz-Projekten und Tiger-Naturreservaten. Auch die von Goethe erwähnten Palmen gehören zur exotischen Pflanzenwelt Südthailands in seinen dichten tropischen Wäldern mit seinen Lianen und farbenprächtigen Orchideen. Wenn euch jetzt auch die Reiselust gepackt hat, dann fragen wir doch einmal Goethe, …
… was die Faszination des Reisens ausmacht.
Goethe würde sicher sagen, dass man nicht reist, um anzukommen, sondern um zu reisen, und dass alles, was uns dabei begegnet, Spuren hinterlässt. In diesem Sinne, so meinte Goethe, »wandelt niemand ungestraft unter Palmen« bzw. »ändern sich gewiss die Gesinnungen«. Ja, das Reisen bildet, ja kann – wenn wir offen sind und uns (auf damals faszinierend Neues wie) »Elefanten und Tiger« einlassen – dazu beitragen, unseren Horizont zu erweitern. Vielleicht können wir beim Unterwegssein in anderen Ländern die noch unentdeckten Möglichkeiten unseres Inneren erkunden. Womöglich ordnen wir nach einem Vergleich der schockierend armen Lebensumstände anderer unsere eigene Lebenssituation ganz anders ein. Möglicherweise werden wir dazu angeregt, über unsere Naturnähe oder den Sinn unserer irdischen Existenz nachzudenken.
Goethe lässt uns dazu aus seiner eigenen Reiseerfahrung wissen, dass er nur in Rom empfunden hat, was eigentlich ein Mensch sei, und dass er später nie wieder zu dieser Höhe, zu diesem Glück der Empfindung, gekommen ist.
Im Gegensatz dazu »bedroht« bei seinem Dichterfreund Schiller wilde Exotik nicht nur die Gesinnung, sondern sogar die eigene Existenz, was dieser wie folgt ausdrückte:
»Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn.
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Städt und Länder ein.«
(Aus: Das Lied von der Glocke, 1799)
Zu Zeiten der beiden Dichter war der Leu (Löwe) bestenfalls als Wappentier und der Tiger noch weniger ein Begriff. Allenfalls waren die wilden Tiere damals aus einer Wandermenagerie bekannt, wie Goethe in seiner Novelle Die Jagd andeutet, mit der er zeigen wollte, wie das Unbändige oft besser durch Liebe als durch Gewalt bezwungen werden kann.
Während also Schiller dichterisch die wilden Tiere Gefahr und Schrecken und ein pessimistisches Menschenbild des kriegerischen Wahnsinns hervorheben ließ, strahlt aus Goethes Worten die Zuversicht, dass im Menschen eine höhere Natur liegt. Goethe erklärt und verglich die Entstehung seiner Novelle mit einem »Gewächs, das eine Weile aus einem starken Stengel kräftige grüne Blätter nach den Seiten austreibt und zuletzt unerwartet mit einer Blume endet.«
Was Goethes Elefant angeht, so hat dieser in seinem naturwissenschaftlichen Denken eine wichtige Rolle gespielt. Möglicherweise hat Goethe zu seinen Lebzeiten sogar einen lebenden Elefanten gesehen, der im Hof des Frankfurter Gasthofes Goldener Pfau als exotische Attraktion zur Schau gestellt wurde. Sein Vater hat jedenfalls in seinem Haushaltsbuch das Eintrittsgeld für den 18. Juli 1773 vermerkt. Interessant ist jedoch …
… Goethes Einstellung als Naturforscher:
»Von der Natur sollten wir nichts kennen, als was uns unmittelbar lebendig umgibt. Mit den Bäumen, die um uns blühen, grünen, Frucht tragen, mit jeder Staude, an der wir vorbeigehen, mit jedem Grashalm, über den wir hinwandeln, haben wir ein wahres Verhältnis; sie sind unsre echten Kompatrioten. […] Man frage sich, ob nicht ein jedes fremde, aus seiner Umgebung gerissene Geschöpf einen gewissen ängstlichen Eindruck auf uns macht. […] Manchmal, wenn mich ein neugieriges Verlangen nach solchen abenteuerlichen Dingen anwandelte, habe ich den Reisenden beneidet, der solche Wunder mit andern Wundern in lebendiger, alltäglicher Verbindung sieht. Aber auch er wird ein anderer Mensch. […] Nur der Naturforscher ist verehrungswert, der uns das Fremdeste, Seltsamste mit seiner Lokalität, mit aller Nachbarschaft jedesmal in dem eigensten Elemente zu schildern weiß. Wie gern möchte ich nur einmal Humboldten erzählen hören! […]
Dem einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen,
was ihn anzieht, was ihm Freude macht, was ihm nützlich deucht;
aber das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch.«
Johann Wolfgang von Goethe
(Die Wahlverwandtschaften, Aus Ottiliens Tagebuche 1809, 2. Teil, 7. Kap.)
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