Buchvorstellung – »Warum wir ohne Hunger essen«

Ich liebe die Bücher von Maria Sanchez, weil sie psychologisch in die Tiefe gehen und gleichzeitig Hilfe zur Selbsthilfe geben. Wie schon ihr Buch Die revolutionäre Kraft des Fühlens kann ich auch das 240-seitige Sachbuch Warum wir ohne Hunger essen: Die wahren Gründe für Essdrang und Übergewicht, Königsfurt-Urania Verlag 2016, wärmstens empfehlen. Während die Inhalte von Das Hungertier in dir von Dr. Caroline Böttiger hauptsächlich den Heißhunger auf körperlicher Ebene betreffen, widmet sich Maria Sanchez psychologischen Ursachen, die das natürliche Wechselspiel von Hunger und Sattsein außer Kraft setzen. Dieses Buch fängt also tatsächlich da an, wo andere aufhören. Kernthema ist das emotionale Essen, also zu essen, ohne hungrig zu sein, und darunter zu leiden.
»Es gibt keinen inneren Schweinehund in uns, den wir bekämpfen müssen,
sondern innere Spannungen, die unsere Aufmerksamkeit brauchen, unsere Achtung und unseren Respekt.«
Maria Sanchez
Über ihre eigene Erfahrung mit dem emotionalen Essen berichtet die Autorin:
»Ich hasste mich dafür, dass ich so viel aß. Das Schlimmste war für mich das Ausgeliefertsein und die vermeintliche Auswegslosigkeit. Denn der Feind, mein zwanghafter Drang, essen zu müssen, lebte in mir. […] Auch in Phasen, in denen ich mich mithilfe von viel Disziplin für längere Zeit schlank hielt, lauerte er stets im Hintergrund. Er war immer präsent, als stetige Gefahr. […] Die Essensbombe tickte die ganze Zeit in mir – bereit, jederzeit zu explodieren.«
Also ist da doch der innere Schweinehund, den wir ständig bekämpfen müssen? So mögen Betroffene es empfinden. Es ist ein Kampfdenken im Sinne von Ich will das Problem nicht haben! Es muss weg! So dachte auch Maria Sanchez, bis sie zu der Erkenntnis gelangte, dass der Zweck dieses Kampfes mit dem Essdrang darin bestand, sich von einer ganz anderen inneren Bühne bzw. von innerem Dauerstress abzulenken.
Übermäßiges Essen kann der Notausgang sein, den wir täglich nehmen, wenn etwas für uns zu viel wird. Unser Körper mag ab einem bestimmten Punkt genug haben, aber unsere Seele noch lange nicht. Wir essen weiter, bis auch die psychologische Wirkung, die wir uns von der Nahrungsaufnahme erhoffen, eingetreten ist – beispielsweise Entspannung oder Trost. Dieser emotionale Effekt ist es, der den Essdruck immer und immer wieder auslöst. In dem Moment, in dem wir emotional essen, reagieren wir auf eine gegenwärtige Situation nicht als Erwachsener, sondern als verletztes Kind. Essen ist sozusagen unsere Anti-Stress-Pille. Es hat die Aufgabe der Beruhigung, indem es ungelöste Spannungen der Vergangenheit abdämpft.
Bei vielen Menschen ist es Schokolade, die sie immer wieder essen müssen – ein Signal für unbewusste emotionale Überlebensstrukturen, also unsere biografisch geprägte, individuelle Art des Denkens und Fühlens. Wir dämpfen uns als Erwachsene mit Schokolade ab, um den eigentlichen emotionalen Verletzungsschmerz aus der Kindheit nicht spüren zu müssen, wir gehen sozusagen in den inneren Schmerzvermeidungsmodus. Doch erst, wenn wir diese tiefer liegenden Strukturen in uns kennenlernen und bearbeiten, wird sich uns eine wirkliche Handlungsalternative eröffnen.
Wenn wir aus dem übermäßigen Essen aussteigen wollen, so Maria Sanchez, braucht es etwas, dass uns Menschen sehr viel schwerer fällt als bloße Disziplin, und zwar Liebe, Interesse und Respekt für uns selbst. Also raus aus dem Kampfmodus, denn: »Wer kämpft, kann sich innerlich nicht entfalten.« Wir könnten den Essdrang ja auch als eine immer wiederkehrende Einladung verstehen, um mit den verletzten und zurückgezogenen Seiten in uns in Kontakt zu kommen und so zu erkunden, wie es zu unserem widersprüchlichen Verhalten kommen konnte. Maria Sanchez gibt uns zu verstehen, dass wir auch nachträglich als Erwachsene den Hunger nach bestimmten Gefühlsqualitäten, in uns stillen können, die in unserer Kindheit nicht gestillt wurden. In jedem Moment, in dem wir emotional essen möchten, können wir die Chance sehen, jene Persönlichkeitsseiten in uns kennenzulernen, die das Essen (noch) als psychologische Hilfe benötigen.
»Nur wenn man im Gestern die Gründe für das Heute sucht,
kann man verhindern, dass Morgen nicht nur eine Wiederholung des Heute ist.«
Maria Sanchez
Es stimmt, dass uns manchmal unbewusst zu viele Vorurteile uns selbst gegenüber im Weg stehen. Wenn wir meinen, dass unser Übergewicht uns nicht entspricht, wir aber immer wieder selbst dafür sorgen, dass es entsteht, haben wir zwei entgegenwirkende Kräfte in uns: unser schlankes Ich und als Gegenpol dazu unser übergewichtiges Ich. Lehnen wir allerdings die übergewichtige Seite in uns ab, so die Autorin, dann ist es nicht möglich, uns wirklich auf sie einzulassen. Dann ist es uns nicht möglich, die Wirkkraft unseres übergewichtigen Ich in der individuellen biografischen Tiefe zu erkunden. Denn wirklich erforschen können wir nur etwas, was auch da sein darf. Beide Pole bedingen sich, also bleibt die grundsätzliche Konfliktdynamik auf einer tieferen Ebene bestehen und zeigt durch den Essdruck an, dass sich unsere Persönlichkeit um eine bestimmte Eigenschaft, die wir bisher unterdrücken, erweitern möchte.
Die überflüssigen Kilos sind nur das Symptom, nicht der Grund unseres Essproblems. Das Übergewicht steht für unser Daseinsrecht mit all unseren Persönlichkeitsfarben, so sein zu dürfen, wie wir sind. Es gilt, zuerst die inneren Kilos zu verlieren, damit sich während dieses Prozesses langsam und parallel dazu die äußere Gewichtsabnahme zeigen kann. Auf der eigenen »Forschungsreise« von Maria Sanchez waren es 30 Kilo in 3 Jahren. In dem Maße, wie sie ihre »biografischen Kilos« verlor, sie also psychisch leichter wurde, schwanden auch die äußeren Kilos. Deshalb lautet die wichtigste Frage, die wir uns stellen können: »Welchen seelischen Hunger versuchen wir zu stillen, wenn unser Körper längst satt ist?«
Möchten wir uns aus unseren alten Strukturfesseln und deren innerer Diktatur befreien, kommen wir nicht darum herum, diese inneren Muster zunächst zu würdigen. Auch wenn sie uns heute blockieren mögen, haben sie uns in einer früheren Zeit einen großen Dienst erwiesen. Es gibt Kinder, denen es nicht gelungen ist, sich in psychisch schwierigen Situationen zurechtzufinden, die seelisch ausgehungert daran zerbrochen sind. Unsere Kilos sind der Ausdruck dafür, dass es abgewehrte Seiten in uns gibt, die bisher noch nicht erhört bzw. erfühlt werden konnten. Es liegt nun an uns, die Entfaltungsbremse zu lösen, und uns innerlich im Ausdruck unserer selbst mehr Raum zu geben, sodass wir das nicht mehr über unser Gewicht tun müssen. Wie das gehen kann, erläutert Maria Sanchez anhand von Leserfragen zu ihrer Radiosendung Durch dick und dünn mit Maria Sanchez, die sie auf teilweise verblüffende, lösungsorientierte und stets motivierende Weise beantwortet.
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