Buchvorstellung – »Das Geheimnis der Winterschläfer«
Wie sich Tiere vor Kälte schützen
Vielleicht gehörst du auch zu den kälteempfindlichen Menschen, die sich fragen, wie es Tieren im Winter gelingt, sich vor Kälte zu schützen. Als ich bei der Fujikina Berlin 2024 ein Foto von Rotgesichtsmakaken sah, die in den Bergregionen Japans leben, wo es im Winter -25 °C haben kann, musste ich lächeln. Die Schneeaffen setzen sich nämlich stundenlang gemeinsam in die dortigen 35 °C bis 40 °C heißen Quellen, bis ihnen wieder warm genug ist. Das dürfte effektiver sein, als ein nur kurzzeitig heißes Schaumbad oder ein nur kurzfristig erhitzender Saunagang.
Als ich mich damit beschäftigte, wie gut Elefanten Kälte vertragen, fiel mir auf, das Tiere so einige Kältetricks draufhaben. Enten bewundere ich, weil ihnen die kalten Füße nichts ausmachen, nicht einmal, wenn sie im Winter stundenlang auf dem Eis stehen oder in kaltem Wasser paddeln. Es ist genial: In ihrem Blut gelöste Stoffe senken den Gefrierpunkt des Blutes um einige Grad. Ihre Arterien leiten gerade so viel warmes Blut aus dem Körperinneren in die Beine, bis diese etwa null Grad haben, denn mit warmen Füßen würden sie sofort auf dem Eis festfrieren. Zudem liegen die Arterien bei Enten dicht neben den Venen und können deshalb gleichzeitig das kalte Blut aufwärmen, das die Venen aus den Beinen zurück in Richtung Herz bringen. Deswegen machen Enten ihre kalte Füße nichts aus. Beneidenswert! Und es gibt noch mehr Kältetricks …
Federkleid
Bei Vögeln spricht man von einem Federkleid, vor allem das Unterkleid schützt vor Kälte. Die zahlreichen, hauchfeinen Verästelungen der Daunenfedern umschließen besonders viel Luft und speichern so die Körperwärme. Die Unterfedern, auch Daunen oder Dunen genannt, werden wegen ihrer Flauschigkeit und Isolationsfähigkeit zum Füllen von unseren Kissen, Schlafsäcken und Daunenjacken verwendet.
Haarkleid
Wenn wir Gänsehaut bekommen, ist das ein meist durch Kältereiz hervorgerufener Hautreflex, bei dem Haarmuskeln aktiviert werden, die dafür sorgen, dass sich die Haare aufstellen und die Haarbälge hervortreten, wodurch die Hautoberfläche grobkörnig wirkt und der einer gerupften Gans ähnelt. Dadurch wird mehr Luft zwischen den Haaren gehalten, was ein isolierendes Luftpolster bildet, das den Körper vor Auskühlung schützt – nicht besonders effektiv bei unserer heutigen spärlichen Körperbehaarung. Für Elefanten ist das spärliche Haarkleid jedoch vorteilhaft. Forscher haben festgestellt, dass bei zunehmend lichterer Behaarung der wärmende Effekt kippt bzw. sogar eine gegenteilige Funktion hat. Es hält Elefanten kühl, indem es Wärme nicht wie ein Fell nah an der Körperoberfläche hält, sondern vom Körper wegleitet.
Fellkleid
Der Winterpelz des Polarfuchses hat die besten Isolationseigenschaften aller Säugetiere. Er überlebt eisige Kälte von bis zu -80 °C dank seines dichten Fells, das zu etwa 70 Prozent aus ungewöhnlich gut wärmedämmender Unterwolle besteht.
Das Geheimnis der Winterschläfer
Am beeindruckendsten sind im Tierreich jedoch die Winterschläfer. Ich habe mich wie die Biologin Lisa Warnecke gefragt: »Wie schaffen die Tiere das bloß? Die Hälfte des Jahres, ja die Hälfte ihres Lebens liegen sie kalt und leblos in einem Erdloch, ohne irgendwelche Schäden davonzutragen. Wenn wir Menschen nur drei Wochen mit einem Gipsverband flachliegen, wird unsere Beinmuskulatur darunter mager und schwach.«
Lisa Warnecke löst für uns in ihrem 204-seitigen Sachbuch Das Geheimnis der Winterschläfer: Reisen in eine verborgene Welt, Beck Verlag, München 2017, einige der Fragen rund um den rätselhaften Winterschlaf am Beispiel von vier Tieren auf vier Kontinenten.
Schon im Vorwort klärt die Autorin darüber auf, dass der Begriff Winterschlaf irreführend ist, da es nicht zwingend Winter sein muss und da die Tiere in diesem Zustand, den die Biologen TORPOR nennen, nicht einfach nur im herkömmlichen Sinn schlafen. Im Torpor wird der Energiebedarf um 99 % reduziert, indem lebenserhaltende Funktionen wie Stoffwechsel, Körpertemperatur und Herzschlag sehr stark gedrosselt werden. Gemessen bzw. verglichen wird der Torporzustand in der Vergleichenden Tierphysiologie mit dem Basalstoffwechsel bzw. Grundzustand. Der Bereich der Umgebungstemperatur, in der ein Tier seinen Basalstoffwechsel hat, wird die Thermoneutralzone genannt.
Der extreme Energiesparmodus Torpor lohnt sich, denn winterschlafende Tiere leben vergleichsweise länger als solche Tierarten, die das nicht können. Nicht ohne Grund, sagt Lisa Warnecke, denn Energie sei die Währung allen Lebens. Die metabolische Leistung, den Stoffwechsel drastisch verlangsamen zu können, um in energiearme Zustände zu gelangen, und sei es auch nur ein Tagestorpor von wenigen Stunden (Mini-Winterschlaf), der eine sehr spontane und flexible Antwort auf kurzfristige Nahrungsengpässe erlaube, schone das Energiebudget. Im Gegensatz dazu sind Haustiere wie Katzen oder Hunde anfälliger für mit Stoffwechselstörungen verbundene Herz-Kreislauf-Erkrankungen, weil sie sich metabolisch nicht so gut anpassen können.
Gemäß der Autorin weckt die Kunst der Tiere, lange Zeit bewegungslos und kalt zu überdauern, ohne Schäden davonzutragen, Hoffnungen darauf, den Zustand des Winterschlafs für Menschen praktisch anwendbar zu machen – für medizinische Zwecke. Man hofft in der Torporforschung auf eine verbesserte Versorgung bei Unterkühlung und Mangeldurchblutung sowie auf Anwendungen im Bereich der Organtransplantation oder bei lange dauernden Operationen durch eine künstliche Hypothermie. Auch für die Raumfahrt besteht großes Interesse an der Erzeugung eines künstlich hervorgerufenen, dem Torpor ähnlichen Zustands während einer mehrjährigen Erkundungsmission, was zu einer Reduzierung benötigter Ressourcen, zu einer geringeren psychologischen Belastung, verlangsamtem Altern und einer reduzierten Strahlenbelastung der Astronauten führen könnte.
Doch darum geht es nicht in diesem biologischen Sachbuch, sondern um Berichte aus der Freilandforschung. Als »Gummistiefelbiologin« gibt Lisa Warnecke in ihrem Winterschläfer-Buch einen interessanten Einblick in die Prozesse, die im Tier in freier Wildbahn ablaufen sowie die Faktoren, die darauf Einfluss nehmen:
Ein Igel inmitten einer deutschen Großstadt
Wie verläuft der Winterschlaf des Europäischen Igels (Erinaceus europaeus) mitten in Hamburg? Um das herauszufinden, begibt sich Lisa Warnecke auf Igel-Jagd, um mit einem medizinischen Spezialkleber Sender anzubringen. Damit lassen sich die Lage der Nester und nächtliche Streifzüge verfolgen sowie die Hauttemperatur. Ein Trend bestätigt sich: Hamburger Igel bauen ihre Nester am liebsten in privaten Gärten. Einer der Igel mit Peilsender schlummert allerdings in einem kleinen Busch direkt an der vielbefahrenen Hamburger Elbchaussee.
Die tolerierte Minimaltemperatur im Torporzustand liegt beim Igel bei 4 °C. Das entscheidende Merkmal von Torpor ist, dass der Igel seinen Zustand aus eigener Kraft kontrolliert, unabhängig von der Umgebungstemperatur. Etwa alle zehn Tage macht er eine Schlummerpause, um sich aufzuwärmen, wofür er einen Großteil des Winterenergiebudgets verbraucht.
Eine Fledermaus in der Eiswüste der kanadischen Prärie
Die Fledertiere sind die einzigen fliegenden Säugetiere. Mit sogenannten Harfenfallen werden viele Kleine Braune Fledermäuse (Myotis lucifugus) gefangen. Die feinen Schnüre, die harfengleich in einem Metallrahmen eng nebeneinander gespannt sind, sind so dünn, dass die Fledermäuse sie nicht als Hindernis wahrnehmen können. Jedes auf diese Weise eingefangene Tier bekommt zu Forschungszwecken einen kleinen Mikrochip unter die Haut.
Wie bei den meisten Winterschläfern liegt die Körpertemperatur der Fledermäuse 1 °C über der Umgebungstemperatur und wie bei den Igeln beträgt ihre Minimaltemperatur etwa 4 °C. Auch hier zeigt sich: 80 % des gesamten Energiebudgets im Winter werden für die Aufwärmphasen ausgegeben, die aber nur 1 % des Zeitbudgets ausmachen.
Torpor ist für die Fledermaus vor allem ein Erfolgsrezept für die Arterhaltung. Die Paarung findet im Spätherbst statt, wenn die Tiere gut genährt sind und die Spermienproduktion auf vollen Touren läuft. Das Weibchen bewahrt die Spermien den Winter über monatelang in ihren Eileitern auf. Im Frühjahr, wenn die Insekten wieder in großer Anzahl ausschwärmen, kann dann die Befruchtung ohne die Hilfe der Männchen stattfinden.
Ein kleines Beuteltier im sonnigen Australien
Bei dem auf dem Cover zu sehenden nachtaktiven Westlichen Bilchbeutler (Cercartetus consinnus) mit einer seiner Nahrungsquellen, dem Nektar einer Banksia-Blüte, wurde der sogenannte opportunistische Winterschlaf im Gegensatz zum obligaten Winterschlaf erforscht. Letzterer muss unumgänglich zu einer bestimmten Jahreszeit gemacht werden. Im Vergleich zur Nordhalbkugel ist das Wetter in Australien zwar milder und die Jahreszeiten weniger stark ausgebildet, jedoch weniger vorhersehbar und damit das Nahrungsvorkommen für die Tiere unkalkulierbar. Dennoch gibt es auch in diesem Teil der Erde Winterschläfer wie das in diesem Projekt untersuchte Beuteltier.
Lisa Warnecke schreibt: »In der zweiten Woche, nach einer windigen Nacht, haben wir schließlich Glück. Zusammengerollt liegt ein Bilchbeutler gleich in der ersten Falle. Ich hebe ihn vorsichtig hoch, er ist kalt und scheinbar leblos – torpid eben. Sein langer Schwanz ist zu einer festen Schnecke gerollt und seine Ohren sind dicht an den Körper gelegt. Je runder ein Objekt, desto weniger Oberfläche hat es im Verhältnis zum Volumen und damit einen geringeren Wärmeverlust – der schlaue Bilchbeutler scheint das zu wissen und sieht aus wie ein Golfball mit kuscheligem Fell. Er beginnt mit dem Wärmezittern, einem speziellen Muskelzittern zur Wärmeproduktion – demnach hat er die Störung wahrgenommen und die Aufwärmphase eingeleitet.« In der kommenden Woche werden weitere Tiere gefangen und mit Sendern ausgestattet, worauf die Datenaufnahme beginnen kann. Es gibt noch viele offene Fragen zum Torporzustand zu klären.
Ein Lemur im tropischen Madagaskar
Erstaunlich, aber nachgewiesen: Winterschlaf bei Primaten im Freiland und Winterschlaf in den Tropen bei einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von 25 °C. Das führt zu der Frage, warum der Torpor nicht bei den Trockennasenprimaten zu finden ist, zu denen auch Homo sapiens (Mensch) gehört. Wie nah sind wir Menschen dem Traum, den Winter ebenfalls verschlafen zu können, den Zustand Torpor künstlich hervorzurufen?
Lisa Warnecke antwortet wie folgt: »Ohne Frage können wir viel lernen von den Winterschläfern und uns einige Tricks von ihnen abgucken, wie sie ihre Membranen, Organe und Muskeln trotz der langen Kälte- und Ruheperiode bei Laune halten – doch von der Erzeugung eines wirklichen Torporzustands beim Menschen sind wir weit entfernt. Zu komplex und meist unverstanden sind die zahllosen physiologischen Vorgänge, die zusammen den Torporzustand ausmachen.«
Rekordhalter bei den Winterschläfern
Kurz erwähnt wird im Buch Das Geheimnis der Winterschläfer der Rekordhalter unter den winterschlafenden Säugetieren: das Arktische Ziesel (Urocitellus parryii). Das Erdhörnchen stellt seine Gehirnaktivitäten während des Winterschlafes weitgehend ein, sein Stoffwechsel verringert sich um 98 % und es führt nur noch einen Atemzug pro Minute aus. Während des achtmonatigen Winterschlafs sinkt die Körpertemperatur des Ziesels bis auf -3 °C, wobei das Zellgewebe durch die scharfkantigen Wassereiskristalle nicht zerstört wird. Dies gelingt zum einen durch die Herstellung von Proteinen, die verhindern, dass das Blut gefriert; zum anderen wacht das Arktische Erdhörnchen zur Prävention von Gehirnschäden monatlich zweimal auf, um sich aufzuheizen.
Fun Fact 😉
Sylvia Ortmann vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung:
»Ein winterschlafendes Murmeltier fühlt sich an wie ein Stück Schweinebraten, das man gerade aus dem Kühlschrank holt. Und dennoch: Je nach Körpergröße können die Tiere innerhalb von einer halben bis zu drei Stunden von 4 Grad wieder auf 37 Grad hochheizen. […] Wir haben einmal ein Murmeltier gemessen, das vorne schon 32 Grad Körpertemperatur hatte und hinten erst 15 Grad. Das heißt, es konnte vorne schon zuschnappen, während es hinten noch nicht weglaufen konnte.«
Dieser Kommentar erinnerte mich an das zur Hälfte eingefrorene Säbelzahn-Eichhörnchen Scrat im Zeichentrickfilm Ice Age, das nach seiner heißbegehrten Eichelnuss greift. Der Hammer ist, dass es gar nicht so fiktiv ist, wie man denkt! Forscher haben in Patagonien (Argentinien) Knochen eines ausgestorbenen Säugetiers entdeckt, das nach Rekonstruktion so aussieht wie ein Eichhörnchen mit Säbelzähnen. Das mausgroße Fossil, das in der Saurierzeit gelebt haben soll, wird Cronopio dentiacutus genannt, ein Name, der auf die spitzen Eckzähne verweist.
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