Fotoausflug – Schlosspark Buch (Berlin)

»Immer wieder bauen sich goldene Brücken in alte Zeiten hinüber, und
wenn das Bild der Gegenwart eine Seele verfinstert, findet sie am ehesten

Trost und Erhebung in dem verklärenden Licht der Geschichte.«
Annemarie von Nathusius (1874–1926)

Dieses Zitat und alle weiteren in diesem Beitrag stammen aus dem von mir gelesenen 348-seitigen BoD-Nachdruck des Originalromans Das törichte Herz der Julie von Voß: Eine Hofgeschichte aus der Zopfzeit, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und Berlin 1918, in dem die deutsche Schriftstellerin Annemarie von Nathusius das illustre Hofleben in Schloss Charlottenburg und Schloss Schönhausen in Berlin wiederaufleben lässt:

»Durch eine der dichtbelaubten Alleen, die in weitem Bogen auf Schloß Schönhausen zuführen, bewegte sich im Mai 1786 eine saumselige, frühlingsfrohe Gesellschaft. Die Mitte hielt eine von breitschultrigen Lakaien getragene Sänfte, in welcher Elisabeth Christine, die Königin harmloser Feste und Lustbarkeiten, ins Grüne getragen wurde. Entgegen der düsteren Altersgewohnheit ihres einsamen Gemahls in Sanssouci mochte sie die Spiele, Kabalen und sonstigen Leidenschaften der höfischen Menschen nicht missen; ihre tägliche Sorge war und blieb, einen interessanten, unterhaltsamen Kreis zu bilden, sich immer noch als Mittelpunkt der hohen Welt zu fühlen. […]

Ein bunter, märchenhafter Zug! Dicht hinter der Sänfte, aus der die alte Königin sich lebhaft mit den zur Seite gehenden Damen und Kavalieren unterhielt, spazierte ein in scharlachrotes Wams gekleideter Mohr, der zwei Papageien und einen Affen trug, die Lieblingstiere seiner hohen Herrin. Rotgekleidete, goldbetreßte Lakaien mit großen weißen Perücken schleppten seitwärts Teppiche und Tücher, gefüllte Körbe, Flaschen und Gläser. Pagen in lichtem Gelb bückten sich nach den Pfauenfederfächern der Damen, und diese selbst glichen in ihrer bunten Pracht jenen stolzen Vögeln, die auf den weiten Rasenflächen ihr schillerndes Rad schlugen.«

–> Über eine heute noch von Pfauen bewohnte Insel, die als preußisches Paradies bezeichnet wurde, erzähle ich – ebenfalls nach einem historischen Roman ähnlichen Schreibstils – in meinem Beitrag Fotoausflug Retro – Pfaueninsel (2012).

Annemarie von Nathusius erzählt die herzergreifende Geschichte über die große Liebe der schönen Hofdame Julie von Voß zu Friedrich Wilhelm II., dem Prinzen von Preußen. Kronprinz Friedrich Wilhelm II. folgte 1786 seinem Onkel Friedrich II. – auch als Friedrich der Große oder der Alte Fritz bekannt – auf den Thron, als dieser im Alter von 74 Jahren auf einem Sessel im Arbeitszimmer von Schloss Sanssouci verstarb.

Julie von Voß, die in dem damals kleinen Dorf Buch am heutigen nördlichsten Rand der Großstadt Berlin geboren wurde und mit anderthalb Jahren ihre Mutter verlor, wurde mit 17 Jahren als Hofdame bei Königin Elisabeth Christine aufgenommen, der Gemahlin Friedrichs des Großen. Am dortigen Hof lernte Julie Kronprinz Friedrich Wilhelm II. kennen.

»Julies Augen hingen an dem angebeteten Manne. […] Immer war er dem Augenblick hingegeben, leicht, stark und froh! […] Seine Größe wuchs, sein königliches Herz stand dem Friedrichs nicht nach. Wer durfte wagen, ihn zu schmähen, der ein Vater von Millionen war – der deutscher Kunst und Wissenschaft zu Rechte verhalf …?«

Über drei Jahre widerstand die hochsensible und tiefgläubige Julie seinem Werben, da der Kronprinz verheiratet, geschieden und wiederverheiratet war, zu alldem auch noch eine Mätresse hatte. Doch sie hatten sich so heftig ineinander verliebt, dass Julie »nach dem Sehnen dreier Jahre« in eine morganatische Ehe mit ihm einwilligte. Diese Zweitehe wurde am 7. April 1787 in der Charlottenburger Schlosskapelle geschlossen.

Am 12. November 1787 erhob König Friedrich Wilhelm II. Julie von Voß zur Gräfin von Ingenheim. Zwei Jahre später, am 2. Januar 1789, wurde ihr gemeinsamer Sohn Gustav Adolf Wilhelm von Ingenheim geboren. Zur Geburt überreicht wurde ihr »in einem duftenden Kästchen aus Sandelholz des Königs Miniaturporträt in köstliche Diamanten gefaßt, und hundertfünfzigtausend Taler für den kleinen Grafen.«

Julies Bruder ließ im Schlosspark Buch von Hans Christian Genelli 1795 ein Kenotaph für sie errichten. Die Inschrift lautet: Soror optima, amica patriae, vale (Beste Schwester, Freundin des Vaterlandes, lebe wohl). Die Reliefplatte zeigt nach den Worten Theodor Fontanes einen »Engel des Todes, der eine Sterbende in sein Gewand hüllt, und ihr Anlitz lächelt, während ein Kranz von Rosen ihrer Hand entsinkt.« (Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Band Spreeland)

»Tat sie nicht alles um der Liebe willen? Liebe war der Teppich ihres Lebens. […] Sollte es wirklich nur kurze Zeit dauern, so will ich doch keine Stunde meines späteren Lebens vergessen, daß ich das Glück in seiner Fülle sah und genoß. […] Das Flügelrauschen ihres dunklen Schicksals war über ihr. […] Sah denn niemand, daß sie dahinschwand? Daß sie auf leisen Sohlen ging, wie ein Engel, der seine Aufgabe erfüllt hat?«

Wie sie es wohl geahnt hatte, währte ihr Glück nicht lange. Julie erlag nicht lange nach der Geburt, am 25. März 1789, im Alter von 22 Jahren der galoppierenden Schwindsucht (Lungentuberkulose).

»Licht und Schatten, Freude und Schrecken, tiefe Lust, tiefes Leid lagen hinter ihr wie ein verwelkter Rosenkranz. […] Ihre Seele war davon wie ein lichter Schmetterling. Keine Menschenhände konnten ihn mehr fangen.«

Julie wurde am 1. April 1789 auf ihren eigenen Wunsch in der Bucher Schlosskirche beigesetzt. Während das marode Schloss Buch 1964 gesprengt wurde, blieb die Schlosskirche Buch erhalten und wird zurzeit renoviert.

»Vom Turme der Kirche rief die Glocke elf Uhr; ein Choral setzte ein, zierlich flog das Glockenspiel über die leise schauernden Wipfel der Linden und Kastanien hin. Ein Pfau stieß seinen klagenden Ruf aus, ihm antwortete ein anderer, stolzierte auf der Wiese und schlug sein buntes Rad. Über den Platz kam der kleine Prediger in seinem langen schwarzen Rock, dem schlichten weißen Haar.«

»Julie von Voß war eine Schönheit im Genre Tizians, schlank und voll zugleich, von schönen Formen und feinen Zügen, blendend, aber von einer marmorähnlichen Blässe, die noch durch ein überaus reiches rötlichblondes Haar gehoben wurde. Bei Hofe hatte sie den Beinamen Ceres, sehr wahrscheinlich um dieses üppigen goldnen Haares willen, in dessen Schmuck auch die Bilder sie darstellen, die noch von ihr erhalten sind. […] Eine Gruft ist da, aber es fehlt der Stein, aus reichem goldenem Rahmen heraus blickt ein Frauenbild, aber die Kastellanin nennt den Namen nicht, und nur das Wappen zu Füßen des Bildes gibt einen Aufschluß.«

Genau diese Worte Theodor Fontanes (1882 veröffentlicht) waren es, die Annemarie von Nathusius (1874–1926) zu ihrer Hofgeschichte aus der Zopfzeit inspirierten: »Als Fontane auf seinen Wanderungen durch die Mark nach Buch kam, wo er das verschollene Grab der Gräfin Ingenheim entdeckte, ging ihm in Erinnerung ihres ergreifenden Schicksals ein Schauer durch die Seele und gerührt schrieb er: ›Überall in Buch begegnet man den Spuren der schönen Gräfin, aber nirgends ihrem Namen.‹ […] Ich wundere mich darüber, daß es noch nie einen Dichter lockte, die rührende Gestalt zu neuem Leben aufzuerwecken. Mir schienen in ihrem Los und Wesen, namentlich auch in dem glanzvollen Kreis und der Zeit, welcher sie angehörte, alle Voraussetzungen für eine fesselnde Erzählung gegeben, so habe ich mich denn an die Aufgabe gewagt, mehr darauf bedacht, eine Seelenstudie als ein Sittenbild zu schaffen.«

Während Julies »zaghaftes Herz« und ihre »mimosenhafte Seele« mit dem scheuen Reh verglichen werden könnte, das uns zweimal im Schlosspark Buch begegnete, wird Annemarie von Nathusius als eine eigenwillige und selbstständige Frau beschrieben, die konsequent ihren inneren Überzeugungen folgte. So war sie unter anderem die Erste, die in ihren Romanen Ich bin das Schwert und Eros mit unmissverständlicher Deutlichkeit das Recht der Frau auf eine persönliche und sexuelle Selbstbestimmung formulierte.

Im Gegensatz dazu hatte die »scheue stille Art« Julies, deren »Seele wie ein irrendes Lichtlein hin und her schwankte« tief unter dem Druck ihrer Lebensverhältnisse zu leiden:

»Da brodelte alles wie in einem Hexenkessel durcheinander: Haß, Eifersucht, Ehrgeiz, Liebe, Egoismus, Feigheit, Rachsucht – gefesselte Leidenschaften – dumpfe, brütende Not. Wo war die Erlösung? Wo blühte das schönere Leben? […] Als sie die Rivalin [des Königs Mätresse Wilhelmine Enke, verheiratete Ritz, spätere Gräfin von Lichtenau] vorüberfahren sah, war ihr nicht anders, als habe man ihr die eigene Schande vor Augen geführt. Ihr Hände lagen schwer im Schoß, ihre Lider senkten sich, ihr Herz versagte den Schlag. Sie fiel in eine bodenlose Tiefe. Es gab kein Herauskommen mehr, denn sie hatte den Glauben verloren an sich selbst, an das Recht ihrer Liebe. Gott strafte sie, weil sie seine Gebote übertreten, seine Gesetze mißachtet hatte. Er rächte sich, indem er ihr auch das Herz des Geliebten entfremdete.«

Das »Dickicht der Not« ließ sie immer häufiger in eine »schmerzvolle Versunkenheit« fallen – sehr zum Missfallen König Friedrich Wilhelms II., denn: »Trübselige Gesichter und Stimmungen waren ihm, der eine schwere, bittere Jugend hinter sich hatte, furchtbar. Frauen sollten Blumen sein, die das Leben erhellten und verschönten. Warum vergaßen sie ihre Aufgabe immer wieder?«

Der Schlosspark Buch ist ein von der Panke durchflossenes Naturschutzgebiet mit altem Baumbestand, das landschaftlich an den Spreewald erinnert. Eine seiner 14 Brücken gilt wegen ihrer Kürze von zwei Metern als die kleinste Brücke Berlins.

Nach dem Rundgang durch den Schlosspark Buch sind wir noch ein wenig entlang des nahegelegenen Bucher Karpfenteichs gewandert, der aus drei durch Zu- und Abflüsse verbundenen Teilen besteht und im westlichen Teil des Bucher Forstes liegt.

Der untere Karpfenteich besitzt eine kleine Insel, die wegen der Lage vielen Vögeln als Brutplatz dient. Am Ufer wachsen viele Erlen, die von Erlenzeisigen bewohnt sind, zumindest einen der hübschen schwarz-gelb-grünen Vögel haben wir fliegen sehen. Hier waren wir auch von den Buchen umgeben, die für den Berliner Stadtteil Buch namengebend waren, indem Julie von Voß geboren und begraben wurde.

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