Fotoausflug – Bonjour Tristesse

»Bonjour Tristesse« bedeutet wörtlich übersetzt: »Willkommen Trauer« und ist der Titel eines Millionenbestsellers von Françoise Sagan, der 1954 erschien und einen Skandal auslöste. Manchmal frage ich mich, warum gerade solche Romane zu Bestsellern werden. Die aus einer reichen Industriellenfamilie stammende Françoise Quoirez wuchs in Paris auf, wo sie eine Klosterschule besuchte. Als sie mit »Bonjour Tristesse« quasi über Nacht weltberühmt wurde, gab sie ihr Studium an der Pariser Universität Sorbonne auf und lebte fortan als freie Schriftstellerin unter dem Pseudonym Françoise Sagan.

Nicht nur die für die damalige Zeit freizügig beschriebene Sexualität schockierte die Leser/innen, sondern auch die antibürgerliche Ich-Erzählung einer verwöhnten 17-Jährigen namens Cécile, die ihr freies, unbeschwertes und genussreiches Leben durch die Heiratsabsichten ihres Vaters bedroht sieht. Nach eigener Aussage treiben Langeweile, Neugier und eine gewisse Freude am Bösen Cécile zu einer Intrige gegen ihre künftige Stiefmutter Anne an, die dazu führt, dass Anne weinend mit dem Auto davonfährt und dabei tödlich verunglückt. Obwohl Cécile glaubt, dass es Selbstmord war, findet sie schnell wieder in ihr früheres, leichtlebiges Leben zurück. Nur manchmal erinnert sie sich morgens im Bett mit einer gewissen Melancholie an jenen Sommerurlaub mit Anne und ihrem Vater: »Dann steigt etwas in mir auf, das ich bei geschlossenen Augen mit seinem Namen begrüße: Willkommen Trauer.«

Seit dem Erfolg dieses Romans ist »Bonjour Tristesse« eine geflügelte Redewendung in der deutschen Sprache geworden, wenn etwas besonders Trostloses beschrieben werden soll. Noch häufiger wird das Adjektiv »trist« verwendet, das von »Tristesse« abgeleitet ist. Dabei werden mit »Tristesse« nicht nur Gefühle der Traurigkeit oder Trübsinnigkeit bezeichnet, sondern auch Zustände, Gegenstände oder Orte können »trist« sein, also öde, langweilig, arm an Abwechslung.

An diesem nebligen, nasskalten Dezembertag wirkte das Naturschutzgebiet der Gemeinde Kloster Lehnin zwischen Rietzer See und Netzener See, das durch den Emsterkanal  verbunden wird, zugegebenermaßen schon ein bisschen trist auf mich. Oliver meinte jedoch, das sei doch mal was ganz anderes als die leuchten Farben des Sommers und des Herbstes. Die trübe Lichtstimmung und die kahlen Bäume hätten ihren ganz eigenen und besonderen Reiz.

Zu meiner gefühlten Tristesse passte trefflich der Name des Sees, an dem wir fliegende Vögel – eine besondere Herausforderung für Fotografen – ablichten wollten: Strengsee. Wir hatten vor, von einem Vogelbeobachtungsturm aus zu fotografieren, doch die gewünschten Motive, die es hier geben soll, unter anderem Eisvogel, See- und Fischadler oder Schwarzer bzw. Roter Milan, ließen sich an diesem neblig-trüben Sonntagnachmittag nicht blicken.

Von den etwa 270 nachgewiesenen Vogelarten dieser Gegend zeigten sich uns nur vereinzelt und von weitem einige Silberreiher.

Diese Vielzahl von Wasservögeln, die hier beheimatet sein soll, unter anderem zahlreiche Entenarten, von denen eine große Gruppe weit draußen auf dem See schwamm, ließ sich nur erahnen. Während des Vogelzugs im Frühling und Herbst rasten in dieser »Streng« genannten Zwischenniederung tausende Grau-, Saat- und Blessgänse sowie Kraniche. Bestimmt lohnt es sich, wenn wir zur Zeit des Vogelzugs nochmals herkommen. Die moorähnliche Landschaft mit Schilfflächen und feuchten Wiesen ist eines der ornithologisch bedeutendsten Brut- und Rastgebiete Brandenburgs. Auch Biber und Fischotter fühlen sich hier wohl.

Wir fragten uns, warum die Silberreiher (Ardea alba) nicht in den Süden geflogen waren, denn wir konnten uns noch gut daran erinnern, dass wir bei unserer Afrikareise einige der sehr elegant anmutenden Silberreiher fotografiert hatten. Sie sind gut zu erkennen an ihrem schneeweißen Gefieder, ihrem s-förmig gebogenen Hals, ihrem gelb-orangenen, dolchartigen Schnabel und ihren schwarzen Beinen.

Doch Silberreiher, die auch Weiße Reiher oder Weiße Fischreiher genannt werden, sind nicht kälteempfindlich, und so sieht man sie bei frostigen Temperaturen an eisfreien Fließgewässern stehen und auf die nächste Fischmahlzeit lauern. Wenn Silberreiher eine längere Zeit in der Uferzone stehen und kein Fisch vorbeischwimmt, fangen sie an mit erhobenen Flügeln durchs Wasser zu waten, um dabei die Fische hochzuscheuchen und dann blitzschnell zuzuschlagen.

Wenn in strengen Wintern Flüsse und Seen zugefroren sind, sieht man die auch als Winterstörche bezeichneten Stelzvögel häufig auf Wiesen und Feldern, wo sie auf Maulwürfe und Mäuse warten, denn zu ihrem Lebensraum gehören inzwischen nicht nur Seen mit Schilfbewuchs und Flussmündungen mit viel Ufervegetation, sondern auch Moore und Feuchtwiesen. So müssen die ursprünglich aus Vorderasien und Südeuropa stammenden Silberreiher nicht mehr zwangsweise in wärmere Gefilde ziehen, doch man findet sie nach wie vor überall auf der Welt, in Nord- und Südamerika ebenso wie in Asien und Teilen Afrikas.

Nach unserer Vogelbeobachtung nahe Kloster Lehnin warfen wir natürlich noch einen kurzen Blick auf diese ehemalige Zisterzienserabtei im Ort Lehnin, von der Theodor Fontane schrieb:

»Was jetzt Wiese und Garten ist, das war vor siebenhundert Jahren ein eichenbestandener Sumpf, und inmitten dieses Sumpfes wuchs Kloster Lehnin auf, vielleicht im Einklang mit jenem Ordensgesetz aus der ersten strengen Zeit: daß die Klöster von Cisterz immer in Sümpfen und Niederungen, d.h. in ungesunden Gegenden gebaut werden sollten, damit die Brüder dieses Ordens jederzeit den Tod vor Augen hätten.«

Streng ging es zu in diesem Zisterzienserorden, unter anderem mit folgenden Vorschriften:

  1. Die Unterlage des Bettes ist Stroh, Polster sind untersagt.
  2. Als Speise dienen gekochtes Gemüse, darunter Buchenblätter. Kein Fleisch.
  3. In der Kirche soll sich ein offenes Grab befinden, um an die Hinfälligkeit des Daseins zu mahnen.

Eiche und Hirsch bilden das Wappen der Gemeinde Kloster Lehnin. In den Altarstufen der Klosterkirche Lehnin ist ein verkieselter Eichenblock (Eiche Otto I.) eingelassen, um den sich eine Gründungslegende rankt, die von Theodor Fontane wie folgt wiedergegeben wird:

»Otto I., der Sohn Albrechts des Bären, jagte einen Tag lang in den dichten Waldrevieren der Zauche, und warf sich endlich müd und matt an eben der Stelle nieder, wo später Kloster Lehnin erbaut wurde. Er schlief ein und hatte eine Vision. Er sah im Traum eine Hirschkuh, die ihn ohne Unterlaß belästigte. Endlich ergriff er Bogen und Pfeil und schoß sie nieder. Als er erwachte und seinen Traum erzählte, drangen die Seinen in ihn, daß er an dieser Stelle eine Burg gegen die heidnischen Slawen errichten solle; – die andrängende, immer lästiger werdende Hirschkuh erschien ihnen als ein Sinnbild des Heidentums, das in diesen Wäldern und Sümpfen allerdings noch eine Stätte hatte. Der Markgraf erwiderte: ›Eine Burg werde ich gründen, aber eine Burg, von der aus unsere teuflischen Widersacher durch die Stimmen geistlicher Männer weit fortgescheucht werden sollen, eine Burg, in der ich ruhig den Jüngsten Tag erwarten will.‹ Und sofort schickte er zum Abt des Zisterzienserklosters Sittichenbach, im Mansfeldischen, und ließ ihn bitten, daß er Brüder aus seinem Konvente, zur Gründung eines neuen Klosters senden möchte. Die Brüder kamen. Markgraf Otto aber gab dem Kloster den Namen Lehnin, denn Lanye heißt Hirschkuh im Slawischen.«

Quelle: Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 11, München 1959–1975, S. 42-44, gemeinfrei, Permalink: http://www.zeno.org/nid/20004778537

Wahrscheinlicher bei der Namensgebung des Ortes Lehnin ist jedoch die Ableitung von Len, einem Eigennamen, also »Ort des Len«. »Leń« bedeutet im Polnischen (einer slawischen Sprache) »Faulpelz« oder »Schmarotzer«. Das passt, denn schon kurz nach der Gründung von Kloster Lehnin verschwanden die Ordensideale wie die asketische Lebensweise, die eigenhändige Arbeit nach der Regel »ora et labora« (»bete und arbeite«) und das Verbot von Ertragsquellen wie Zinseinkünfte oder die Erhebung von Zehnten und Pachtabgaben. 

Bald entwickelte sich Kloster Lehnin zu einer wohlhabenden Abtei, deren Mönche umfangreichen Handel mit Getreide, Fleisch, Fisch, Molkereiprodukten, Honig, Bienenwachs, Wein und Leder trieben. Das frühere Kornhaus, ein Getreidespeicher für Pachtabgaben, zeugt noch heute vom einstigen Reichtum. Urkunden belegen Getreidelieferungen bis nach Hamburg und Kreditvergaben an Städte wie Erfurt und Lüneburg.

Abt Valentin (etwa von 1509 bis 1542) war der letzte Abt des Klosters. Es war die Glanzzeit des Klosters, welches zwei Marktflecken, vierundsechzig Dörfer, vierundfünfzig Fischereien, sechs Wasser- und neun Windmühlen, vierzehn große Forsten, dazu weite Äcker, Wiesen und Weinberge umfaßte. Jeder Zweig des klösterlichen Wirtschaftsbetriebs stand in voller Blüte und die günstige Wasserverbindung der Havelseen mit der Havel, die in die Elbe mündet, sicherte dem Kloster vortreffliche Absatzplätze.

Heute betreibt das Evangelische Diakonissenhaus Berlin Teltow Lehnin auf dem Klostergelände ein Krankenhaus, eine Klinik für geriatrische Rehabilitation, ein Altenhilfezentrum und ein Hospiz (Sterbeeinrichtung).

Adieu Tristesse hieß es, als wir das Klostergelände verließen und dem wärmendem Feuer sowie Herzen voller Wärme zustrebten, mit denen wir den Sonntag gemütlich ausklingen ließen. Freunde tun gut bei Tristesse. Auch gemeinsam Lachen, Singen und Musizieren vertreibt eine niedergedrückte Stimmung im Nu. Und dann gibt es noch einen Geheimtipp bei Tristesse für alle, die gern tanzen. Dieser stammt vom argentinischen Komponisten Enrique Santos Discépolo, der die Musik und Texte für mehr als 30 Tangos schuf, die zu den bedeutendsten Werken des Tango Argentino zählen. Sein vielzitierter Geheimtipp lautet:

»Tango ist der traurige Gedanke, den man tanzen kann.« 

Es tut unbeschreiblich gut, seine Gefühle durchs Tanzen auszudrücken. Die melancholische Musik und die Tanzbewegungen des Tango Argentino eignen sich besonders gut, traurige Gedanken sozusagen zu vertanzen, denn er ist in seinem Wesen eine getanzte, hingebungsvolle Umarmung. Jeder hat natürlich seine eigene Art und Weise, Gefühle zum Ausdruck zu bringen und sie dadurch positiv zu verarbeiten. Es ist nicht so wichtig, wie wir das tun, sondern dass wir es regelmäßig tun. So können wir emotional im Gleichgewicht bleiben, auch im Winter und auch in belastenden Zeiten wie diesen. Doch seien wir nicht zu streng mit uns, auch gelegentliche Tristesse gehört zum Leben, und nach jedem Winter kommt auch wieder ein Frühling in seiner ganzen bunten Vielfalt. Bleiben wir also offen fürs Leben, denn Vielfalt stimuliert und lässt jegliche Tristesse vergessen.

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